Das wir gewinnt

Offener Unterricht und Offene pädagogische Arbeit

Ein Schüler und eine Lehrerin schauen sich freundlich an.

Offener Unterricht ist keine Methode an sich. Er stellt vielmehr einen Ansatz dar, der sich diversen Methoden bedient und sich gut für inklusive pädagogische Arbeit eignet. „Offen“ meint dabei nicht „offen für alles“, sondern die Orientierung an gegenüber dem Frontalunterricht öffnenden Methoden. Diese Öffnung kann unterschiedlich weit ausfallen und bringt eine veränderte Beziehungsstruktur zwischen Lehrer und Schüler, einen veränderten Lernbegriff sowie eine veränderte Lernorganisation mit sich.

Prinzipien aus der Reformpädagogik

Unter Pädagogen werden die Begriffe „Offenes Lernen“, „Offener Unterricht“ oder „Offene Arbeit“ verschieden ausgelegt und teils undifferenziert verwendet. Eine einheitliche, allgemeingültige Definition gibt es nicht. Das hängt damit zusammen, dass sich der Ansatz stetig weiterentwickelt und unterschiedliche reformpädagogische Ideen aufgreift. Wichtige Vordenker waren etwa John Dewey, Célestin Freinet, Maria Montessori oder Peter Petersen. Konsens über das Offene Lernen besteht jedoch dahingehend, dass der Ansatz einen Gegenentwurf zum klassischen Frontalunterricht bildet.

Möglichkeiten

Dewey: Lernen durch Handeln
Freinet: Den Kindern das Wort geben
Montessori: Hilf mir, es selbst zu tun!
Petersen: Schule als Lebensgemeinschaft

Dimensionen des Offenen Lernens nach Falko Peschel

Pädagoge Falko Peschel gilt als Pionier des Offenen Unterrichts und plädiert in seinem Ansatz für eine weit reichende Eigenständigkeit der Schüler. Er unterscheidet fünf Dimensionen, anhand derer sich sämtliche Lern- und Arbeitsformen in ihrer Offenheit und in der Selbstständigkeit der Schüler vergleichen lassen und in die sich der eigene Unterricht einordnen lässt.

Je nachdem, wie weit der Unterricht geöffnet ist, übernehmen entweder Lernmaterial und Lernaufgabe die Rolle des Lehrenden oder aber die Schüler steuern ihr Lernen komplett selbst.

Bekannt wurde Peschel durch ein „Experiment“, bei dem er eine Klasse vier Jahre lang durch die Grundschulzeit führte, ohne sie im herkömmlichen Sinne zu unterrichten. Seine Dissertation „Offener Unterricht – Idee, Realität, Perspektive und ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion“ aus dem Jahr 2002 machte das Unterrichtsprinzip für die Erziehungswissenschaft greifbarer.

Ein Schüler sitzt fröhlich an einem Tisch.

Die fünf Dimensionen im Überblick

Organisatorische Offenheit

Inwieweit kann der Lernende die Rahmenbedingungen seiner Arbeit (Raum, Zeit, Ort) selbst bestimmen?

Methodische Offenheit

Inwieweit kann der Schüler bei Bearbeitung eines Themas seinem eigenen Lernweg folgen?

Inhaltliche Offenheit

Inwieweit kann der Lernende die Themen, an denen er arbeitet, im Lehrplan selbst bestimmen?

Soziale Offenheit

Inwieweit kann der Lernende in der Klasse über den Unterrichtsablauf und geltende Regeln mitentscheiden?

Persönliche Offenheit

Inwieweit sind die Beteiligten am Lerngeschehen einander gleichgestellt? Inwiefern besteht zwischen Lehrenden und Lernenden bzw. den Lernenden unter sich ein gutes Beziehungsklima?
Peschels Dimensionen veranschaulichen, dass nicht ausschließlich Geschlossener und Offener Unterricht als zwei einander ausschließende Extreme vorkommen – zwischen ihnen sind viele Mischformen möglich.

Ideal jedes geöffneten Unterrichts bildet jedoch das entdeckende, problemlösende, handlungsorientierte und selbst verantwortete Lernen. Bei der nachfolgenden Auswahl entsprechender Arbeitsmethoden sind exemplarisch die Grade organisatorischer, methodischer und inhaltlicher Öffnung angegeben.

Eine Betreuerin zeigt einem Schüler etwas. Beide lächeln.

Vier Methoden

Merkmale
  • Schriftliche Anleitung beschreibt Arbeitsaufträge des Lernenden
  • Pflichtaufgaben und Wahlaufgaben
  • Frei: Arbeitstempo, Reihenfolge der Bearbeitung, Ort und ggf. Sozialform, Umfang der erwünschten Hilfen und freiwilligen Aufgaben
  • Lehrer als Berater und Helfer
  • Kontrolle teils selbstständig, teils über Lehrperson

Organisatorische Offenheit
mittel

Methodische Offenheit
schwach

Inhaltliche Offenheit
schwach
Merkmale
  • Lernumwelt, in der den Schülern vielfältige Angebote und Materialien für Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit bereitstehen.
  • Viele freiwillige und wenige obligatorische Angebote
  • Lehrer als Berater, Moderator und Helfer

Organisatorische Offenheit
hoch

Methodische Offenheit
mittel

Inhaltliche Offenheit
schwach

Merkmale
  • Auswahl durch den Lerner aus einer vorbereiteten Materialsammlung, selbständige Arbeit daran nach vorgegebenen Arbeitsanleitungen
  • Frei: Aufgaben, Fach, Arbeitstempo, Sozialform und Arbeitsort
  • Lehrer als Berater
  • Selbstständige Kontrolle der Lösungen

Organisatorische Offenheit
hoch

Methodische Offenheit
mittel

Inhaltliche Offenheit
mittel

Merkmale
  • Ziel: Kompetenzgewinn durch engagierte Auseinandersetzung mit einer Sache, Handlungsbefähigung
  • Schüler überlegen ein Thema, dessen Bearbeitung gemeinsam geplant und durchgeführt wird.
  • Abschließend Reflektion und Beurteilung des Prozesses bzw. dessen Ergebnis

Organisatorische Offenheit
hoch

Methodische Offenheit
hoch

Inhaltliche Offenheit
mittel

In offenen Unterrichtsmethoden kommen auch Kooperatives Lernen und Lernen durch Lehren vor. Ersteres stellt Eigenaktivität und Kooperation zwischen den Schülern im Unterricht in den Mittelpunkt: Sie unterstützen sich gegenseitig bei der Aufgabe und gelangen in Partner- oder Gruppenarbeit gemeinsam zu Ergebnissen. Beim Lernen durch Lehren vermitteln sich die Schüler gegenseitig die Inhalte.

Eine detaillierte Übersicht offener Unterrichtsmethoden nach Peschel finden Sie im Methodenpool der Universität zu Köln  ab Seite 18. Weitere, im Grad der Offenheit weniger ausgeprägte Formen listen Susanne Lin-Klitzing und Melanie Katja Stumpf auf den Seiter der Zentrale für Unterrichtsmedien  auf.

Prinzipien des Offenen Arbeitens

Offener Unterricht zeichnet sich also insgesamt durch folgende Merkmale aus:

Schülerzentrierung

Lernende entscheiden möglichst eigenständig über ihre Arbeitsformen, Arbeitsmittel, sozialen Beziehungen und Kooperationen. Sie bestimmen Inhalte, Methoden und Unterrichtsverlauf mit. Bei Planung, Auswahl und Durchführung ihrer Aktivitäten handeln sie selbstständig.

Veränderte Lehrerrolle

Während die Schüleraktivität steigt, fährt der Lehrende seine Aktivität zurück. Er gibt Handlungsspielräume und beansprucht das Planungsmonopol nicht mehr für sich. Er orientiert sich an den Interessen, Ansprüchen, Wünschen und Fähigkeiten der Schüler und unterstützt als Lernhelfer deren Selbstorganisation.

Entdeckendes Lernen

Die aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand durch problemorientierte Aufgaben bildet das methodische Grundprinzip Offenen Unterrichts.

Eigene Methoden

Verschiedene Unterrichtsformen wie Freiarbeit, Wochenplan oder Projektunterricht fördern das selbstverantwortliche Lernen und Arbeiten. Kooperatives Arbeiten oder Lernen durch Lehren stärken das soziale Miteinander unter den Schülern.

Grenzen des Offenen Unterrichts

Den Frontalunterricht abgelöst hat Offener Unterricht bislang nicht. In der Praxis tritt er meist gemischt mit anderen Methoden auf. Denn nicht immer ist eine offene Unterrichtsgestaltung die beste Wahl:

  • Verglichen mit lehrerzentriertem Klassenunterricht kann Offenes Arbeiten Schwächen beim Kenntniserwerb mit sich bringen. Vorteilhaft ist er hingegen dort, wo es um Motivation, Selbststeuerung und Teamfähigkeit geht.
  • Entsprechend profitieren vor allem gut motivierte, selbstsichere und leistungsstarke Schüler von offenen Unterrichtsformen. Schlecht motivierte, ängstliche oder lernschwache Schüler können sich überfordert fühlen und benötigen oft einen enger geführten Unterricht.
  • Die größten Hindernisse gibt es bei der Umsetzung Offenen Unterrichts. Sie kann erschwert werden durch
    • Heterogenität: Lehrer und Lernende bzw. Lernende untereinander unterscheiden sich zu stark in Alter, Lebenserfahrungen und Sprachkompetenz.
    • Schulsystem: Das Erreichen vorgeschriebener Leistungsstandards sowie Stofffülle versperren für Offenes Lernen nötige Freiräume. Bei kooperativen Arbeitsformen gestaltet sich die Notengebung teilweise schwierig.
    • Mangelnde räumliche Möglichkeiten: Gerade für offenere Lernmethoden ist es wichtig, genügend Platz zur Verfügung zu haben. Nicht jede Schule kann diesen aufbringen.
    • fachbezogenen Unterricht: Der Stundenplan verhindert oder erschwert es, offene Arbeitsformen über mehrere Unterrichtsstunden und/oder Fächer hinweg zu etablieren.
    • Längere Planung und Vorbereitung: Offener Unterricht und Offene Arbeit fallen auf Lehrerseite zeitintensiver aus und erfordern mehr Material.
Kinderhände mit einem Stift in der Hand über einem Blatt. Auf diesem Blatt sieht man eine Tabelle mit einem lachenden und einem weinenden Smiley.

Starten mit dem Offenen Unterricht

Grundsätzlich sind in allen Fächern offene Arbeitsphasen als Ergänzung zum gebundenen Unterricht möglich. Was ist wichtig, wenn man auch an seiner Schule offene Unterrichtsmethoden einführen möchte?

Weiterführende Links

Deutscher Bildungsserver
Zentraler Wegweiser durch das Bildungssystem in Deutschland. Das Portal bietet viele umfassende Informationen. Unter anderem zu Offenem Unterricht, Kooperativem Lernen oder Lernen durch Lehren.
www.bildungsserver.de

Inklusion und Offener Unterricht
Im Fokus der Masterarbeit "Inklusion und Offener Unterricht" steht der Ansatz Peschels. Abschnitt 3.3 betrachtet das Konzept hinsichtlich Inklusion.
www.bidok.at

ZUM-Unterrichten
Offene, nicht-kommerzielle Plattform für Unterrichtsmaterialien und Unterrichtsideen. Hier finden sich viele Impulse für Offenen Unterricht.
www.unterichten.zum.de

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