Coronapandemie und Behinderung: „Die Teilhabe sicherstellen“
Nach mehreren Monaten der Pandemie beobachte ich, dass das, was wir über Jahre schwer erkämpft haben – nämlich, dass Menschen mit Behinderung wie alle anderen am Leben teilhaben können und dürfen –, plötzlich einer Art Fürsorgegedanken zum Opfer fällt. Ich mache mir Sorgen, dass wir gerade wieder zum segregierenden Denken zurückkehren: Es gibt die Menschen in den Einrichtungen – und die Menschen außerhalb davon.
Herausforderung für Behindertenrechte in der Coronapandemie
Deshalb besteht die große Herausforderung jetzt darin, die Partizipation von Menschen mit Behinderung in der Pandemie sicherzustellen. Natürlich gehören viele Menschen mit Behinderung auch zur Risikogruppe. Aber genau wie Ältere können sie nicht nur noch in Einrichtungen oder hinter verschlossenen Türen bleiben, wie es zu Anfang der Coronakrise in Pflegeheimen der Fall war. Eine Isolation, in der sie ihre Beziehungen nicht leben können, schadet ihnen genauso wie allen anderen auch.
Wir haben als Verband deshalb gefordert, dass Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen Zugang zu regelmäßigen Testungen bekommen, um Kontakte zu ermöglichen und trotzdem das Risiko der Infektionsausbreitung zu minimieren.
Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in der Coronapandemie
Obwohl wir selbst während der ersten Phase der Pandemie weit entfernt waren von einem Mangel an Krankenhausbetten oder Beatmungsgeräten, ist man sehr schnell mit Empfehlungen zur Triage an die Öffentlichkeit gegangen. Das fand ich doch erstaunlich. Eigentlich leben wir in einem Sozialstaat, der uns zusichert, dass alle, die krankenversichert sind, auch Zugang zum vollen Leistungsumfang der gesundheitlichen Versorgung haben. Aber plötzlich hatte man ohne Notwendigkeit Kriterien formuliert, die diesen Zugang einschränken – ohne Beteiligung der Menschen, die davon betroffen wären. Diskriminierung entsteht meistens nicht vorsätzlich, aber sie entsteht eben dennoch.
Letztlich wollten die Mediziner sichere Entscheidungsgrundlagen schaffen. Aber auch die entbinden sie nicht von der Pflicht, jede Person einzeln zu betrachten. Entscheidungen über Leben und Tod darf man nicht nur medizinisch begründen: Unsere Verfassung besagt, dass jedes Menschenleben gleich viel wert ist. Wenn es um den Schutz des Lebens geht, ist es der Gesetzgeber, der diese Entscheidung treffen muss. Und nicht eine intensivmedizinische Fachgesellschaft.
Reaktion auf die Triage-Diskussion in der Coronapandemie
Als Reaktion darauf haben wir von der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie gemeinsam mit der LIGA Selbstvertretung und dem Forum behinderter Juristinnen und Juristen die Aktion Runder Tisch „Triage“ ins Leben gerufen.
Wir möchten eine gesellschaftliche Diskussion zum Thema Triage anstoßen und wünschen uns die Entwicklung menschenrechtlicher Grundsätze für Priorisierungsentscheidungen in der Intensiv- und Notfallmedizin. Es geht darum, Kriterien zu finden, mit denen die betroffenen Menschen sich nicht diskriminiert fühlen. Da kam zum Beispiel der Vorschlag: Wer zuerst kommt, wird auch zuerst behandelt. Das mag auch nicht immer gerecht sein, könnte aber eine Richtung für die weitere Diskussion vorgeben.
Text: Sarah Schelp
Foto: CBP e.V.