Interview: „Für sein Recht muss man zuweilen kämpfen“
Stefan Flach-Bulwan ist Leiter des Beratungsprojekts „Recht haben, Recht bekommen“ in Magdeburg. Im Interview erzählt er, warum das neue Angebot der Pfeifferschen Stiftungen so wichtig für viele Menschen ist und wie sein Team mit anderen Akteuren für die Rechte behinderter Menschen zusammenarbeiten will.
In Magdeburg haben die Pfeifferschen Stiftungen das neue Beratungsprojekt „Recht haben, Recht bekommen“ gegründet. Warum ist das wichtig für die Stadt? Wo liegen die Bedarfe?
In der Beratungspraxis machen wir oft die Erfahrung: Viele Menschen mit Behinderung wissen gar nicht, welche Rechte sie haben und wie sie diese erlangen können. Sie hatten dafür bislang keine ausreichenden Informationen. Das hat auch damit zu tun, dass Einrichtungsträger jahrzehntelang viele Dinge für Menschen mit Behinderung übernommen haben. Natürlich träumen wir alle vom „Geist der UN-Behindertenrechtskonvention“, mit der nun alle Menschen mit Behinderung zu ihren Rechten kommen sollen. Im Bundesteilhabegesetz wurde die UN-BRK ja auch konkretisiert. Aber ich persönlich bin sehr enttäuscht davon. Vieles ist alter Wein in neuen Schläuchen. Zwar haben wir jetzt ein Gesamtplanverfahren, das den einzelnen Menschen mit Behinderung mit seinen individuellen Bedarfen in den Mittelpunkt stellen soll. Aber die Macht, die nötigen Daten dafür zu erheben und zu interpretieren und auf deren Grundlage Leistungen zu gewähren, liegt einseitig beim Kostenträger. Wir sind noch immer meilenweit von einer Gleichberechtigung, von einer Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung entfernt. Auch vor diesem Hintergrund haben wir uns entschlossen, das neue Projekt zu starten.
Wie arbeiten Sie mit anderen, bestehenden Beratungsangeboten zusammen und wie schwierig ist es, sich von Rechtsanwält*innen abzugrenzen?
Wir vernetzen uns eng mit allen anderen Angeboten in der Region, unter anderem mit der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung. Wir holen die Leute dort ab, wo sie woanders nicht weiterkommen, zum Beispiel weil es um spezielle und individuelle Fragen rund ums Recht geht. Auf der anderen Seite müssen wir auf die Grenzen achten, die uns das Rechtsdienstleistungsgesetz vorgibt. Es gibt Aufgaben, die ausschließlich den Rechtsanwält*innen vorbehalten sind, vor allem die Vertretung vor Gericht. Das Thema Recht ist oft mit einem „Totstellreflex“ verbunden. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die sich gar nicht erst trauen, einen Brief von einer Behörde oder anderen Institutionen zu öffnen – bis wichtige Fristen verstrichen sind. Auf der anderen Seite gibt es Berater, die das Gefühl haben: Rechtliche Themen sind mir zu heiß. Wie weit darf meine Beratung gehen? Und wer haftet bei Beratungsfehlern? Ich denke, es muss darum gehen, diese Unsicherheiten zu überwinden. Dazu braucht man schon einen gewissen Hang zu rechtlichen Themen. Das Gebiet ist natürlich groß: Von der Anerkennung einer Schwerbehinderung über den Pflegegrad bis zur Erlangung von Teilhabeleistungen. Aber es ist ja auch ein Gebiet, auf dem man ganz konkret etwas gestalten kann.
Viele Menschen mit Behinderung wissen gar nicht, welche Rechte sie haben und wie sie diese erlangen können.
Wie wollen Sie Ihre Ziele erreichen?
Um zum eigenen Recht zu kommen, muss man kooperieren und zuweilen auch kämpfen. Unsere Idee ist deshalb: Wir möchte die Zusammenarbeit mit Behörden verbessern. Auch Behördenmitarbeiter*innen haben Unsicherheiten beim Umgang mit Menschen mit Behinderung. Wir haben uns deshalb vorgenommen, den Dialog zu suchen. Wir wollen Menschen mit Behinderung beim Besuch dorthin begleiten, aber auch Mitarbeiter*innen von Behörden zu uns in die Beratungsstelle einladen. Wir möchten Schulungen anbieten zum Umgang miteinander und zu rechtlichen Themen. So können wir ein wohlwollendes Miteinander gestalten. Das gilt natürlich auch für die Zusammenarbeit mit Rechtanwält*innen, Gerichten und Institutionen aller Art:
Ihr Beratungsprojekt hat gerade erst seine Arbeit aufgenommen – haben sie trotzdem schon Pläne für die Zukunft?
Auf Dauer brauchen wir einen größeren Unterstützerkreis. Zwei Fachberater*innen und ein paar Peer-Councelors reichen allein nicht aus. In Zukunft könnte man in Magdeburg einen Verein gründen mit Sozialpädagog*innen im Ruhestand, mit Rechtspfleger*innen, gesetzlichen Betreuer*innen oder ehemaligen Mitarbeitenden des Sozialamtes. Mit Menschen, die bereit sind, sich ein paar Stunden in der Woche zu engagieren. So könnte man mehr Kompetenzen hinzugewinnen und ein stärkeres Netzwerk knüpfen. Dabei sollten wir auch Angehörige einbeziehen. So könnten Menschen mit Behinderung schneller an die Informationen kommen, die sie gerade benötigen – und somit auch schneller zu ihrem Recht.