Anastasia Umrik: Mit Twitter zum Recht auf einen Rollstuhl
„Bei meinem alten Rollstuhl funktionierte die Elektronik nicht mehr, um meine Muskeln zwischendurch zu entspannen. Deshalb beantragte ich Anfang 2019 einen neuen Rollstuhl. Als der aus nicht näher erläuterten Gründen abgelehnt wurde, legte ich Widerspruch ein. Daraufhin bot mir die Krankenkasse einen Rollstuhl aus ihrem Lager an. Ohne Liftfunktion. Diese ist für mich jedoch eines der wichtigsten Tools, das ich zum Beispiel brauche, um auswärts die Toilette zu nutzen.
Das habe ich auch einer Mitarbeiterin bei der Krankenkasse am Telefon erklärt. Doch sie meinte, ich solle dann eben auf die Toilette gehen, bevor ich das Haus verlasse oder Windeln anziehen. Darauf habe ich sehr emotional reagiert und sie gefragt, ob ich das jetzt richtig verstanden habe, worauf sie es noch mal bestätigte. Danach war ich zwei Tage lang sehr niedergeschlagen und habe überlegt, was ich tun kann.
Ansprüche geltend machen: Sprachrohr Twitter
Ich habe mich dann entschieden, auf meinem Twitter-Account davon zu berichten, weil das einfach mein Sprachrohr ist, und auch, weil ich finde, dass solche Dinge an die Öffentlichkeit gehören. Daraufhin bekam ich eine große Welle an Zuspruch.
Positive Entwicklungen durch Gang an die Öffentlichkeit
Das Social-Media-Team der Krankenkasse hat so alles mitbekommen. Zuvor hatte man dort zu mir gesagt: ‚Wenn es Ihnen nicht passt, dann können Sie ja dagegen klagen.‘ Darauf hatte ich mich, ehrlich gesagt, auch schon eingestellt. Aber das war gar nicht mehr nötig. Am Donnerstag wurde ich auf Twitter aktiv, und am Montag habe ich von meinem Sanitätshaus erfahren, dass der Rollstuhl genehmigt war.
Einerseits war diese Aktion für mich sehr energieraubend. Ich habe erst zwei Monate später richtig gemerkt, wie erschöpft und müde ich war. Das hatte mich total aus meinem Alltag rauskatapultiert. Andererseits hat mich diese Erfahrung sehr gestärkt. Sie hat mir gezeigt, dass ich mehr Kraft habe, als ich dachte. Und dass wir einzelne Menschen mehr Macht haben, als wir denken. Ich finde, dass es legitim ist, die eigene Geschichte nach außen zu tragen. Es ging ja nicht nur um eine Kleinigkeit, sondern um meine Lebensqualität und auch um meine Lebensfähigkeit.
Ich finde, dass es legitim ist, die eigene Geschichte nach außen zu tragen. Es ging ja nicht nur um eine Kleinigkeit, sondern um meine Lebensqualität und auch um meine Lebensfähigkeit.
Ansprüche: Warum es wichtig ist, sich sichtbar zu machen
Ein halbes Jahr vor dem Rollstuhl hatte ich auch eine Reha beantragt. Der Antrag war von der Krankenkasse zweimal abgelehnt worden, und ich hatte deswegen schon einen Beratungstermin beim Sozialgericht. Aber im Januar 2020 bekam ich auch die Bewilligung der Reha. Im Schreiben der Krankenkasse stand, sie hätten sich noch mal die Akte angeguckt und gäben meinem Antrag natürlich statt.
Im Endeffekt kann ich nur jedem Menschen in einer solchen Situation raten: Mach dich sichtbar! Zeig dich in irgendeiner Form. Außerdem sollte man so eine Absage nicht persönlich nehmen und sich nicht so sehr davon beeinflussen lassen, dass man am Boden zerstört ist. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan.“