Das wir gewinnt
Zwei Frauen mit und ohne Behinderung stehen nebeneinander. Die Frau mit Behinderung hebt lächelnd und abwehrend eine Hand.

Gewaltschutz: Wohnen mit Behinderung sicherer machen

Immer noch erleben Menschen mit Behinderung Gewalt in ihrem Wohnumfeld. Die Gründe dafür sind vielfältig: Täter*innen nutzen es aus, dass Menschen mit Behinderung Hilfe benötigen, die für sie häufig zwingend notwendig ist. Vielleicht denken sie auch, dass Menschen mit Behinderung sich nicht wehren würden oder andere Menschen ihnen nicht glauben, wenn sie von Gewalterfahrungen erzählen. Hier erfahren Sie, welche Formen von Gewalt es gibt und wie Sie sich selbst oder andere vor Gewalt schützen können. 

Wie sieht Gewalt an Menschen mit Behinderung beim Wohnen aus?

Gewalt beginnt nicht erst bei Schlägen. Auch Beleidigungen, psychischer Druck, sexualisierte Gewalt oder freiheitsentziehende Maßnahmen gehören beispielsweise dazu. Freiheitsentziehend kann etwa bedeuten: Ein Mensch wird gegen seinen Willen in seiner Bewegung eingeschränkt - etwa durch das Feststellen von Rollstuhlbremsen oder die Fixierung am Bett ohne die Genehmigung durch ein Gericht. Auch wenn die Intimsphäre eines Menschen nicht geschützt wird, ist das eine Form von Gewalt. Zum Beispiel, wenn ein Mensch mit Behinderung sich nicht selbst aussuchen kann, wer ihn pflegt, wäscht oder anfasst. 

Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen leben, erleben häufiger Gewalt als andere Menschen. Unter besonderen Wohnformen versteht man größeren Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung mit wenig Raum für Individualität. Hier sind viele Menschen sind abhängig von der Unterstützung durch andere – allein das führt zu einem Machtgefälle. 

Besonders gefährdet: Frauen mit Behinderung

Frauen mit Behinderung sind ganz besonders stark von Gewalt betroffen. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums belegt: Frauen mit Behinderung erleben zwei- bis dreimal häufiger sexualisierte Gewalt als Frauen ohne Behinderungen – ganz gleich ob sie in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder zu Hause wohnen. Fast die Hälfte der befragten Frauen hat als Kind, Jugendliche oder Erwachsene schon Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht. Auch körperlich und psychische Gewalt erleben Frauen mit Behinderung sehr viel häufiger als andere Frauen. Laut der Studie kommen Täter*innen meist aus dem Umfeld der Frauen: Es sind überwiegend eigene Partner, Familienangehörige, Betreuungspersonen oder auch Mitbewohner*innen. Umso wichtiger ist Gewaltschutz und Empowerment von Frauen mit Behinderung.

Tipp: Im Portal Familienratgeber der Aktion Mensch finden Sie alle wichtigen Informationen und Adressen zum Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderung. 

Eine ältere Frau schaut nachdenklich aus dem Fenster

Was ist strukturelle Gewalt? 

Als strukturelle Gewalt bezeichnet man Formen von Gewalt, die nicht von einzelnen Täter*innen ausgehen, sondern indirekt von einem gesellschaftlichen System. In Bezug auf das Wohnen von Menschen mit Behinderung kann das bedeuten: Alltagsstrukturen und Abhängigkeiten in einer Einrichtung führen dazu, dass Menschen mit Behinderung diskriminiert, bevormundet oder auch körperlich oder psychisch misshandelt werden. Wenn zum Beispiel die Wohnumgebung nicht barrierefrei ist, wenn ein Mensch mit Behinderung nicht wählen kann, wer ihn pflegt oder ihm assistiert, wenn seine Intimsphäre gestört wird und Gewaltschutzmechanismen fehlen, begünstigt das strukturelle Gewalt.

Wie erkenne ich, dass andere Menschen mit Behinderung von Gewalt im Wohnumfeld betroffen sein könnten? 

Für Opfer von Gewalttaten ist es oftmals schwierig, über das Geschehene zu sprechen – ob aus Angst, aus Scham oder aus Unsicherheit. Umso wichtiger ist es, dass Bezugspersonen die Anzeichen erkennen, um trotzdem helfen zu können

Diese Punkte könnten darauf hindeuten, dass Gewalterfahrungen vorliegen: 

  • Ein Mensch ist plötzlich sehr ängstlich, verhält sich zwanghaft oder distanzlos.
  • Ein Mensch klagt über Schmerzen, Schlafstörungen oder Beschwerden.
  • Ein Mensch zeigt Anzeichen von Depression oder selbstverletzendem Verhalten. 
  • Es sind äußerliche Verletzungen zu sehen. 
  • Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, ziehen sich oft von sozialen Kontakten zurück oder erklären offensichtliche Verletzungen mit angeblich anderen Ursachen. 

Was kann ich tun?

  • Ansprechen: Wenn Sie vermuten, dass einem Menschen mit Behinderung Gewalt angetan wird oder wurde, sprechen Sie ihn vertrauensvoll an und bieten Sie Ihre Hilfe an.
  • Ernst nehmen: Schenken Sie dem Erzählten Glauben.
  • Verantwortung verdeutlichen: Verdeutlichen Sie, dass der Täter oder die Täterin die Schuld trägt und nicht das Opfer der Gewalt.
  • Hilfemöglichkeiten aufzeigen: Überlegen Sie gemeinsam mit der Person, wer in der schwierigen Situation weiterhelfen kann. Zum Beispiel Vertrauenspersonen oder Beratungsstellen.
  • Bei Gefahr Polizei alarmieren: Falls Sie selbst Zeug*in einer Gewalttat werden, alarmieren Sie gegebenenfalls die Polizei. 
Zwei Männer sitzen im Gespräch nebeneinander, der Mann im Vordergrund ist unscharf fotografiert.
Eine junge Frau mit Downsyndrom steht in einer Halle beim Kapfsport-Training

Was kann ich als Betroffene*r tun?

Im akuten Fall: Hilfe und Unterstützung suchen

Auch wenn Sie verzweifelt oder mutlos sein sollten: Wenn Sie als Mensch mit Behinderung persönlich Gewalt erlebt haben oder noch erleben, können Sie sich Hilfe und Unterstützung holen! In einer akuten gefährlichen Situation wählen Sie am besten den Polizei-Notruf 110 oder wenden Sie sich an eine Polizei-Dienststelle in Ihrer Nähe.

Ansonsten können Sie sich in einem ersten Schritt vielleicht an eine vertraute Person wenden und über das Erlebte sprechen. Sie können sich auch Hilfe von außen holen. Eine Übersicht über Unterstützungs- und Beratungs-Angebote für Frauen und Männer, die von Gewalt betroffen sind, finden Sie zum Beispiel auf der Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Es gibt aber auch Hilfsangebote, die sich explizit an Menschen mit Behinderung wenden. Zum Beispiel Suse-hilft.de für Mädchen und Frauen mit Behinderung oder das Mädchenhaus Bielefeld . Über weitere Angebote in Ihrer Region kann Sie auch eine Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB , informieren. Mehr zum Thema Beratung für Menschen mit Behinderung finden Sie auch im Familienratgeber der Aktion Mensch

Zur Vorbeugung: Mit Empowerment zu mehr Gewaltschutz

Wenn Sie wissen, an wen Sie sich im Zweifel wenden können, und Angebote nutzen, um stärker und selbstbewusster zu werden: dann kann das zu ihrem persönlichen Gewaltschutz beitragen. Stärken Sie sich selbst durch Empowerment: Also durch Maßnahmen, die Ihnen dabei helfen, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen.


Zur Verarbeitung: Therapie und Rechtsbeistand bei Gewalt an Menschen mit Behinderung

Auch wenn Ihre Gewalterfahrung im Wohnumfeld vielleicht schon längere Zeit zurück liegt, kann sie noch immer sehr belastend sein. Dann könnte es Ihnen unter Umständen helfen, eine Therapie zu machen. Straftaten können Sie anzeigen und sich dazu auch rechtlichen Beistand durch einen Anwalt oder eine Anwältin zu suchen. Im Familienratgeber-Beitrag „Was tun bei einer seelischen Krise?“  finden Menschen mit Behinderung wichtige Infos zu Hilfe und Psychotherapie im Krisenfall. Mehr zum Thema Straftaten erfahren Sie im Familienratgeber-Beitrag Strafanzeige stellen .

Wichtige Anlaufstellen auf einen Blick

Menschen mit Behinderung, die von Gewalt betroffen sind, können sich an folgende Ansprechstellen wenden:

Unterstützung bei der Erstellung von Gewaltschutzkonzepten in inklusiven Wohnkonzepten:

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