Gewaltschutz: Wohnen mit Behinderung sicherer machen
Inhaltsverzeichnis
- Wie sieht Gewalt an Menschen mit Behinderung beim Wohnen aus?
- Besonders gefährdet: Frauen mit Behinderung
- Wie erkenne ich, dass andere Menschen mit Behinderung von Gewalt im Wohnumfeld betroffen sein könnten?
- Was kann ich als Betroffene*r tun?
- Was ist vorbeugend wichtig für Gewaltschutz beim Wohnen? Was kann präventiv getan werden?
- Wichtige Anlaufstellen auf einen Blick
Wie sieht Gewalt an Menschen mit Behinderung beim Wohnen aus?
Gewalt beginnt nicht erst bei Schlägen. Auch Beleidigungen, psychischer Druck, sexualisierte Gewalt oder freiheitsentziehende Maßnahmen gehören beispielsweise dazu. Freiheitsentziehend kann etwa bedeuten: Ein Mensch wird gegen seinen Willen in seiner Bewegung eingeschränkt - etwa durch das Feststellen von Rollstuhlbremsen oder die Fixierung am Bett ohne die Genehmigung durch ein Gericht. Auch wenn die Intimsphäre eines Menschen nicht geschützt wird, ist das eine Form von Gewalt. Zum Beispiel, wenn ein Mensch mit Behinderung sich nicht selbst aussuchen kann, wer ihn pflegt, wäscht oder anfasst.
Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen leben, erleben häufiger Gewalt als andere Menschen. Unter besonderen Wohnformen versteht man größeren Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung mit wenig Raum für Individualität. Hier sind viele Menschen sind abhängig von der Unterstützung durch andere – allein das führt zu einem Machtgefälle.
Besonders gefährdet: Frauen mit Behinderung
Frauen mit Behinderung sind ganz besonders stark von Gewalt betroffen. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums belegt: Frauen mit Behinderung erleben zwei- bis dreimal häufiger sexualisierte Gewalt als Frauen ohne Behinderungen – ganz gleich ob sie in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder zu Hause wohnen. Fast die Hälfte der befragten Frauen hat als Kind, Jugendliche oder Erwachsene schon Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht. Auch körperlich und psychische Gewalt erleben Frauen mit Behinderung sehr viel häufiger als andere Frauen. Laut der Studie kommen Täter*innen meist aus dem Umfeld der Frauen: Es sind überwiegend eigene Partner, Familienangehörige, Betreuungspersonen oder auch Mitbewohner*innen. Umso wichtiger ist Gewaltschutz und Empowerment von Frauen mit Behinderung.
Tipp: Im Portal Familienratgeber der Aktion Mensch finden Sie alle wichtigen Informationen und Adressen zum Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderung.
Was ist strukturelle Gewalt?
Wie erkenne ich, dass andere Menschen mit Behinderung von Gewalt im Wohnumfeld betroffen sein könnten?
Für Opfer von Gewalttaten ist es oftmals schwierig, über das Geschehene zu sprechen – ob aus Angst, aus Scham oder aus Unsicherheit. Umso wichtiger ist es, dass Bezugspersonen die Anzeichen erkennen, um trotzdem helfen zu können.
Diese Punkte könnten darauf hindeuten, dass Gewalterfahrungen vorliegen:
- Ein Mensch ist plötzlich sehr ängstlich, verhält sich zwanghaft oder distanzlos.
- Ein Mensch klagt über Schmerzen, Schlafstörungen oder Beschwerden.
- Ein Mensch zeigt Anzeichen von Depression oder selbstverletzendem Verhalten.
- Es sind äußerliche Verletzungen zu sehen.
- Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, ziehen sich oft von sozialen Kontakten zurück oder erklären offensichtliche Verletzungen mit angeblich anderen Ursachen.
Was kann ich tun?
- Ansprechen: Wenn Sie vermuten, dass einem Menschen mit Behinderung Gewalt angetan wird oder wurde, sprechen Sie ihn vertrauensvoll an und bieten Sie Ihre Hilfe an.
- Ernst nehmen: Schenken Sie dem Erzählten Glauben.
- Verantwortung verdeutlichen: Verdeutlichen Sie, dass der Täter oder die Täterin die Schuld trägt und nicht das Opfer der Gewalt.
- Hilfemöglichkeiten aufzeigen: Überlegen Sie gemeinsam mit der Person, wer in der schwierigen Situation weiterhelfen kann. Zum Beispiel Vertrauenspersonen oder Beratungsstellen.
- Bei Gefahr Polizei alarmieren: Falls Sie selbst Zeug*in einer Gewalttat werden, alarmieren Sie gegebenenfalls die Polizei.
Was kann ich als Betroffene*r tun?
Im akuten Fall: Hilfe und Unterstützung suchen
Auch wenn Sie verzweifelt oder mutlos sein sollten: Wenn Sie als Mensch mit Behinderung persönlich Gewalt erlebt haben oder noch erleben, können Sie sich Hilfe und Unterstützung holen! In einer akuten gefährlichen Situation wählen Sie am besten den Polizei-Notruf 110 oder wenden Sie sich an eine Polizei-Dienststelle in Ihrer Nähe.
Ansonsten können Sie sich in einem ersten Schritt vielleicht an eine vertraute Person wenden und über das Erlebte sprechen. Sie können sich auch Hilfe von außen holen. Eine Übersicht über Unterstützungs- und Beratungs-Angebote für Frauen und Männer, die von Gewalt betroffen sind, finden Sie zum Beispiel auf der Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Es gibt aber auch Hilfsangebote, die sich explizit an Menschen mit Behinderung wenden. Zum Beispiel Suse-hilft.de für Mädchen und Frauen mit Behinderung oder das Mädchenhaus Bielefeld . Über weitere Angebote in Ihrer Region kann Sie auch eine Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB , informieren. Mehr zum Thema Beratung für Menschen mit Behinderung finden Sie auch im Familienratgeber der Aktion Mensch .
Zur Vorbeugung: Mit Empowerment zu mehr Gewaltschutz
Wenn Sie wissen, an wen Sie sich im Zweifel wenden können, und Angebote nutzen, um stärker und selbstbewusster zu werden: dann kann das zu ihrem persönlichen Gewaltschutz beitragen. Stärken Sie sich selbst durch Empowerment: Also durch Maßnahmen, die Ihnen dabei helfen, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen.
- Die Teams von Beratungsstellen zum selbstbestimmten Leben von Menschen mit Behinderung können Sie beispielsweise dabei unterstützen, Ihre Wohnsituation zu analysieren und gemeinsam mit Ihnen nach Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung beim Wohnen zu suchen. Beratungsstellen in Ihrer Nähe können Sie beispielsweise in der Adressdatenbank des Familienratgebers recherchieren. Weitere Informationen finden Sie auch auf der Seite der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. — ISL . Im Inklusionsportal der Aktion Mensch finden Sie darüber hinaus viel Service und Information rund ums Thema Selbstbestimmt Wohnen für Menschen mit Behinderung.
- Auch Kurse für Selbstverteidigung und Selbstbehauptung können dazu beitragen, dass Sie sich stärker und selbstbewusster fühlen und dies auch ausstrahlen. Auch das kann zum Schutz vor Gewalt beitragen. Für Frauen mit Behinderung hat der Bundesfachverband feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung e.V. den Ratgeber Nein heißt Nein. Ein Leitfaden für Frauen mit Behinderung veröffentlicht . Er enthält wichtige Informationen zu Selbstbestimmung, Selbstbehauptung, Möglichkeiten der Gegenwehr und ist auch barrierefrei abrufbar. Eine Liste von Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungstrainer*innen finden Sie darüber hinaus auf der Seite Suse-hilft.de .
- Tauschen Sie sich mit anderen aus: Selbsthilfegruppen sind freiwillige Zusammenschlüsse Gleichgesinnter. Sie sprechen über ihre Erfahrungen, tauschen Informationen aus und helfen sich gegenseitig. In vielen Städten und Gemeinden gibt es auch Selbsthilfegruppen von Menschen mit Behinderung. Mehr zum Thema finden Sie auch im Familienratgeber der Aktion Mensch .
Zur Verarbeitung: Therapie und Rechtsbeistand bei Gewalt an Menschen mit Behinderung
Auch wenn Ihre Gewalterfahrung im Wohnumfeld vielleicht schon längere Zeit zurück liegt, kann sie noch immer sehr belastend sein. Dann könnte es Ihnen unter Umständen helfen, eine Therapie zu machen. Straftaten können Sie anzeigen und sich dazu auch rechtlichen Beistand durch einen Anwalt oder eine Anwältin zu suchen. Im Familienratgeber-Beitrag „Was tun bei einer seelischen Krise?“ finden Menschen mit Behinderung wichtige Infos zu Hilfe und Psychotherapie im Krisenfall. Mehr zum Thema Straftaten erfahren Sie im Familienratgeber-Beitrag Strafanzeige stellen .
Wichtige Anlaufstellen auf einen Blick
Menschen mit Behinderung, die von Gewalt betroffen sind, können sich an folgende Ansprechstellen wenden:
- Opfer-Telefon des WEISSEN Rings: 116 006
- In Fällen akuter Bedrohung die Polizei rufen: 110
- Wichtige Informationen und Anlaufstellen für Frauen mit Behinderung zum Thema Gewalt finden Sie auf dem Portal „Suse hilft“ .
- Hilfe finden betroffene Frauen auch bei der Frauenhaus-Koordination
- Beratung und Unterstützung zum selbstbestimmten Leben können Menschen mit Behinderung unter anderem bei der Ergänzenden unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) und bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. — ISL . bekommen.
Unterstützung bei der Erstellung von Gewaltschutzkonzepten in inklusiven Wohnkonzepten: