Oliver Tolmein: Langer Atem bei Teilhabeansprüchen
Rechtsanwalt Oliver Tolmein hat sich mit seiner Kanzlei auf Teilhabeansprüche und andere rechtliche Probleme von Menschen mit Behinderung spezialisiert. Er findet, dass es weiterhin zu viele Hürden für seine Mandant*innen gibt.
„Seit der Gründung unserer Kanzlei „Menschen und Rechte" hat sich die Situation von Menschen mit Behinderung aus meiner Sicht in einigen Bereichen zwar verbessert, doch es gibt Konstellationen, in denen sie sogar schlechter geworden ist.
Beispielsweise hat sich die Situation für Menschen, die eine Rund-um-die-Uhr-Assistenz benötigen, durch das Bundesteilhabegesetz nur unwesentlich entspannt und in mancher Hinsicht sogar verschärft. Das Gesetz verlangt seit 2018, dass Höhe und Aufgliederung des Persönlichen Budgets in den Zielvereinbarungen festgelegt sein müssen. Die Zielvereinbarung ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, auf den sich der Mensch mit Behinderung und die Behörde einigen müssen – ohne Einigung gibt es kein Persönliches Budget.
Unter diesem Druck einigen sich Menschen mit Behinderung in der Verhandlung mit Behörden sehr oft auf ein zu niedrig bemessenes Budget. Später müssen sie trotz vertraglicher Einigung Widerspruch einlegen und dann klagen. Das ist absurd und erschwert die Wahrnehmung von Rechten. Und Persönliche Budgets betreffen sehr oft die Existenz der Betroffenen.
Persönliches Budget: Der Fall Markus Igel
Für unseren Mandanten Markus Igel – der Fall ging ja durch die Presse – haben wir in Sachen Persönliches Budget 15 Verfahren geführt, vom Eilverfahren hinsichtlich der Pflegeassistenz über das Hauptsacheverfahren und zwei Verfassungsbeschwerden bis hin zum Zwangsvollstreckungsverfahren gegen das Saarland, das sich zeitweise sogar geweigert hat, die vom Sozialgericht festgesetzten Gelder zu zahlen.
Wer sich wehren will, muss sich klarmachen, dass er oder sie oft einen langen Atem braucht.
Anstrengende Verfahren
Das hat extrem viel Zeit gekostet – und heute, nach nunmehr sieben Jahren andauernder Rechtsstreitigkeiten haben wir viel, aber noch nicht alles Erforderliche erreicht. Es geht also weiter. Und wenn es schon für uns anstrengend ist, wie zermürbend ist es dann erst für Herrn Igel? Schließlich geht es für ihn um die Frage: Kann ich, darf ich weiterhin selbstständig leben?
Dass sich solche Verfahren sehr lange hinziehen, ist nichts Ungewöhnliches. Wobei es in diesem Fall schon extrem ist, weil die Gegenseite überhaupt nicht konzessionsbereit war. Eigentlich sollten Behörden solche Sachverhalte objektiv und nüchtern betrachten. Aber die Leitung der Behörde im Saarland hat die Angelegenheit persönlich genommen – und damit auch einvernehmliche Lösungen verhindert.Hier stößt unser Justizsystem auch an seine Grenzen: Jeder Erfolg, den wir gerichtlich erzielen, kann mit einem neuen Bescheid zunichtegemacht werden – auch dann, wenn wir, wie bislang im Fall Igel, am Ende jedes Verfahren gewinnen.
Unterstützerkreise sind wichtig
Es vergeht ja trotzdem Zeit, die ich dafür einsetzen muss, die den Mandanten strapaziert und die nicht ausreichend bezahlt wird. Selbst wenn wir am Ende den Höchstsatz abrechnen können, sind damit vielleicht zehn Stunden Arbeit am Fall bezahlt, wir haben aber fünfzig Stunden gebraucht, um zu recherchieren und Schriftsätze zu verfassen. Und für Markus Igel bedeutet es eine lange währende, gesundheitlich belastende Strapaze.
Wer sich wehren will, muss sich klarmachen, dass er oder sie, auch wenn längst nicht alle Verfahren so extrem sind, oft einen langen Atem braucht. Dafür ist es wichtig, dass man Unterstützerkreise hat, Leute, die einem helfen. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich als Anwalt kann das nicht leisten. Wir können Rechtsberatung geben, Schriftsätze verfassen, Klage einreichen, auch ermutigen, aber wir sind nicht das soziale Netzwerk. Wir sind Profis am Rande.“