Selbstständig arbeiten mit Behinderung
Inhaltsverzeichnis
- Welche Gründe sprechen dafür, sich als Mensch mit Behinderung selbstständig zu machen?
- Was muss ich beachten?
- Welche Versicherungen brauche ich als Selbstständige*r
- Wo finde ich Beratung?
- Welche finanziellen Fördermöglichkeiten kann ich in Anspruch nehmen?
- Welche Unterstützung bekomme ich als Selbstständige*r?
- Gute Beispiele
Etwa 180.000 Menschen mit Behinderung waren im Jahr 2021 selbstständig. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Das sind knapp sechs Prozent aller Erwerbstätigen mit Behinderung. Bei den Menschen ohne Behinderung sind 9,4 Prozent aller Erwerbstätigen selbstständig.
Die meisten Gründungen gibt es im Dienstleistungs-Bereich (63 Prozent). Im Handel sind es 35 Prozent. Und im Handwerk nur zwei Prozent.
Welche Gründe sprechen dafür, sich als Mensch mit Behinderung selbstständig zu machen?
Selbstbestimmt zu arbeiten, das kann sehr glücklich machen. Sie können Ihre Arbeitszeiten flexibel einteilen und den Arbeitsdruck so den eigenen Bedürfnissen anpassen. Was Sie sich zutrauen, wann und wie viel, bestimmen Sie alleine. Auch die Einrichtung Ihres Arbeitsplatzes können Sie den eigenen Bedarfen anpassen. Organisieren Sie alles so, wie Sie es brauchen. Die passende Förderung dazu können Sie bei verschiedenen Stellen beantragen.
Das Recht ist auf Ihrer Seite! So regelt das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) die „Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben“. So werden Nachteile ausgeglichen. Die Förderung von Selbstständigen ist im SGB IX, Paragraf 185, Absatz 3 und in der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabenverordnung (SchwAV), Paragraf 18 und 21 geregelt. Die meisten Leistungen sind allerdings Ermessensleistungen und werden vom jeweiligen Inklusions- bzw. Integrationsamt entschieden.
Dort müssen Sie zum Beispiel vorweisen, dass Sie eine Schwerbehinderung oder gleichgestellt sind. Außerdem müssen Sie darlegen, dass die Selbstständigkeit auf Dauer geplant ist und zu Ihrer Haupt-Einnahmequelle wird, so dass Sie keine staatlichen Hilfen brauchen. Danach prüft das Amt, ob auch eine andere Behörde das Geld zahlen könnte und ob es Ihnen zumutbar ist, die Kosten selbst zu tragen. Ist alles geregelt, kann die Unterstützung starten.
Selbstständig mit Behinderung: Was muss ich beachten?
Wenn Sie Ihre Idee zur Selbstständigkeit gefunden haben, nehmen Sie sich genügend Zeit, sie auszuarbeiten. Sie brauchen einen detaillierten Businessplan, auch um in der Anfangszeit finanzielle Unterstützung zu bekommen. Wenn Menschen auf die Schnelle ein Geschäft gründen, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen, endet das häufig in einer Insolvenz.-
Der BusinessplanLegen Sie in Ihrem Businessplan dar, inwiefern Ihr Geschäft tragfähig ist und dass Sie die passenden Fähigkeiten haben, um mit Ihrem Unternehmen am Markt zu bestehen. Die Behinderung sollten Sie in allen Phasen der Planung offen thematisieren. Es muss klar sein, inwieweit sie sich auf die geplante Gründung auswirken könnte. Nur so kann man entsprechende Maßnahmen einplanen, die das Leben als Selbstständige*r leichter machen.
-
Auf Vorurteile vorbereitet seinRichten Sie sich darauf ein, dass Sie auf unterschwellige oder auch ganz offene Vorurteile treffen werden. Viele Leute denken, Menschen mit Behinderung seien nicht so leistungsfähig. Daher geben Sie Unternehmer*innen mit Behinderung nicht so selbstverständlich eine Chance wie anderen. Ebenso kann es aber andersherum sein, dass Menschen Sie inspirierend und mutig finden und Ihnen gerade aufgrund Ihrer Behinderung sehr offen und positiv begegnen.
-
Gründungstyp festlegenInformieren Sie sich, welche Art der Gründung für Sie in Frage kommt: Der Klassiker ist natürlich, ein neues Unternehmen zu gründen. Sie können aber auch ein anderes Unternehmen übernehmen oder in einer Kette Franchise-Nehmer*in werden. Sie können mit einem Teil einer Firma eine so genannte Ausgründung machen oder die Selbstständigkeit nur im Nebenerwerb betreiben.
-
ZeitrahmenSpätestens nach 15 Monaten sollten Sie von Ihren Einnahmen aus der selbstständigen Arbeit leben können. Unter besonderen Umständen haben Sie drei Jahre lang Zeit. Läuft es dann noch nicht reibungslos, können Sie das den Geldgebern mit einer Prognose Ihres Steuerberaters oder der Kammern nachweisen.
-
Formen der SelbstständigkeitEs gibt verschiedene Arten der Selbstständigkeit: Man kann ein Gewerbe betreiben oder freiberuflich arbeiten. Möchten Sie zum Beispiel einen Handwerksbetrieb oder einen Handel eröffnen, dann müssen Sie ein Gewerbe anmelden. Für manche Gewerbe gibt es, was die Ausbildung betrifft, bestimmte Zugangsvoraussetzungen. Freiberuflich kann man nur in bestimmten Berufen arbeiten. Zum Beispiel im medizinischen, kreativen oder pädagogischen Bereich. Ob man gewerblich oder freiberuflich arbeitet, hat Auswirkungen auf die Rechtsform Ihres Unternehmens und auf andere Formalitäten.
-
Beratung in Anspruch nehmenGanz wichtig ist, dass Sie sich schon im Vorfeld Ihrer Gründung Beratung und finanzielle Hilfe organisieren.
Welche Versicherungen brauche ich als Selbstständige*r?
Je nachdem, in welcher Branche Sie arbeiten, brauchen Sie in der Selbstständigkeit unterschiedliche Versicherungen. Informieren Sie sich möglichst früh darüber, welche Versicherungen für Sie verpflichtend sind.
Wo finde ich eine Beratung für Selbstständige mit Behinderung?
Um Ihre Selbstständigkeit optimal vorzubereiten, sollten Sie sich eine passende Beratung suchen. Die bekommt man zum Beispiel bei der Industrie- und Handelskammer oder auch bei der Handwerkskammer kostenfrei. Allerdings ist sie dort meist nicht speziell auf Menschen mit Behinderung ausgerichtet.
Auch die Inklusions- und Integrationsämter informieren zur Existenzgründung. Unter einigen Bedingungen:
- Sie müssen nachweisen, dass Sie die Kenntnisse und Fähigkeiten für eine selbstständige Arbeit erfüllen.
- Sie sollten planen, mindestens 15 Stunden pro Woche zu arbeiten und mit der Selbstständigkeit Ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
- Die Tätigkeit sollte unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig sein.
- Ihre Gründung sollte Aussicht auf Erfolg haben.
- Sie sollten jünger als 65 Jahre sein.
Das meiste davon können Sie mit einem vollständigen Businessplan nachweisen. Bei den Inklusions- und Integrationsämtern bekommen Sie auch Informationen zu staatlichen Hilfen und Förderungen wie Arbeitsassistenzen oder zu finanziellen Förderungen nach §21 SchwbAV.
Zusätzlich gibt es unabhängige Organisationen, die Gründer*innen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit beraten. Wenn Sie die Voraussetzungen erfüllen, sind die Beratungen kostenlos. Zum Beispiel enterability für Menschen in Berlin . Der gemeinnützige Verein foundit= in Wuppertal berät deutschlandweit, ebenso wie das Projekt BESSER in Stuttgart , das von 2022 bis 2025 läuft. Hier und bei einigen weiteren Stellen bekommen Sie Unterstützung für die Vorbereitung, Planung und Durchführung ihrer Gründung.
Die Berater*innen prüfen verschiedene Bereiche:
- die Geschäftsidee
- die Marktanalyse
- Marketing und Kundengewinnung
- Zeitmanagement und Organisation
- Buchhaltung und Verwaltung
- Formale Prozesse wie die Anmeldung des Gewerbes
- Leistungen der Ämter und staatliche Hilfen
Bei aller Motivation ist es wichtig zu wissen: Die Beratungen sind immer ergebnisoffen. Wenn sich herausstellt, dass Ihre Geschäftsidee nicht trägt, kann es sein, dass Ihnen von der Gründung abgeraten wird. Natürlich helfen die Berater*innen Ihnen aber nach Möglichkeit, Ihr Konzept zu optimieren.
Welche finanziellen Fördermöglichkeiten kann ich für die Gründung meines Unternehmens in Anspruch nehmen?
Es gibt viele Fördermöglichkeiten, entweder als Darlehen oder auch in Form von Zinszuschüssen. Diese können Sie für die Gründung, die erste Zeit mit dem Unternehmen oder auch für Coachings nutzen. Die Berater*innen kennen sich in der Förderlandschaft gut aus und weisen Ihnen den Weg. Manchmal ist die fachkundige Beratung sogar eine Voraussetzung, um Fördergelder zu bekommen.
Gefördert werden zum Beispiel:
- Umbau und Renovierung von Geschäftsräumen
- Einrichtungsgegenstände
- Maschinen und Fahrzeuge
- der Kauf von Patenten und Lizenzen
- Kosten für Marketing
- Hilfsmittel zur Barrierefreiheit
Nicht gefördert werden:
- Kosten für Grundstück und Neubau
- Löhne und Gehälter für Personal
- Energiekosten
- Kapitaleinlagen von Gesellschaftern
Von der Bundesagentur für Arbeit gibt es einen Gründungszuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss. Er unterstützt arbeitslose Menschen, die sich selbstständig machen wollen, in der Anfangsphase. Wer keine Behinderung hat, muss vorher Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt haben. Für Menschen mit Behinderung gilt das nicht, das steht im SGB III Paragraf 19 und 116 Absatz 7. Die Zahlungen werden maximal für 15 Monate bewilligt.
Mehr zum Gründungszuschuss erfahren Sie hier: www.arbeitsagentur.de
Für Bürgergeld-Empfänger*innen zahlt das Jobcenter unter Umständen das so genannte Einstiegsgeld. Allerdings nur, wenn es sich um eine hauptberufliche Selbstständigkeit mit mindestens 15 Stunden Arbeitszeit pro Woche handelt. Das Einstiegsgeld wird zusätzlich zum Bürgergeld gezahlt, maximal zwei Jahre lang. Die Höhe ist abhängig von der individuellen Situation, vor allem von der Dauer der Erwerbslosigkeit und davon, wie viele Menschen mit im Haushalt leben. Zusätzlich zum Einstiegsgeld können Bürgergeld-Empfänger*innen Zuschüsse von bis zu 5.000 Euro beantragen, um eine Betriebsausstattung für ihr Unternehmen zu kaufen, wie zum Beispiel Maschinen oder Fahrzeuge.
Mehr Informationen dazu gibt es hier: www.arbeitsagentur.de/arbeitslos-arbeit-finden/
Beim Integrationsamt können Menschen mit Schwerbehinderung Darlehen oder Zinszuschüsse für Gründung oder Erhalt ihres Unternehmens beantragen (nach §21 SchwbAV). Art und Höhe sind abhängig von den persönlichen Umständen. Alle Gelder müssen Sie vor dem Beginn der Selbstständigkeit beantragen. Einen Rechtsanspruch gibt es nicht. Die Auszahlung liegt im Ermessen des jeweiligen Amtes.
Welche Unterstützung bekomme ich als Selbstständige*r mit Behinderung?
Wenn Sie eine Schwerbehinderung haben (GdB mehr als 50), können Sie in Ihrer Selbstständigkeit zusätzliche Leistungen von verschiedenen Ämtern bekommen. Dafür reicht in der Regel der Schwerbehindertenausweis. Zum Beispiel für:
- Arbeitsassistenz
- technische Hilfsmittel
- Hilfen zur Mobilität
- Barrierefreiheit in der Wohnung
- Fortbildung
Unterstützungsformen, die Sie in Anspruch nehmen können
Die Arbeitsassistenz dient dazu, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. Das kann eine Vorlesekraft für blinde Menschen oder ein*e Gebärdensprachdolmetscher*in für gehörlose Personen sein. Sie übernimmt niemals die Kernarbeit der oder des Selbstständigen, sondern nur einfache und unterstützende Aufgaben. Die Kosten für die Arbeitsassistenz werden vollständig übernommen. Entweder von der Agentur für Arbeit oder von der Rentenversicherung. Allerdings nur, wenn eine Schwerbehinderung vorliegt und die Selbstständigkeit der wirtschaftlichen Lebensgrundlage dient.
Manchmal genügen zum Ausgleich der Behinderung auch technische Hilfsmittel wie zum Beispiel Transporthilfen oder spezielles Mobiliar. Durch sie kann die Arbeitsbelastung reduziert und die Arbeitssicherheit gewährleistet werden. In Zusammenhang mit den technischen Hilfsmitteln fördern die Inklusions- und Integrationsämter die Anschaffung, Instandhaltung und entsprechende Kurse, um die Anwendung zu lernen. Die Höhe der Zuschüsse hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Häufig werden die Kosten komplett übernommen.
Hier erfahren Sie, wie Arbeitsplätze barrierefrei eingerichtet werden können.
Selbstständig mit Behinderung: Gute Beispiele
Amrei Feuerstack unterstützt Menschen mit Behinderung bei der Gründung
Ihr erstes Unternehmen hat sie 2018 gegründet: eine Eventagentur. Es funktionierte gut. Aber mit ihrer Gesichtslähmung und einer seelischen Behinderung stieß sie oft auf Unverständnis und Barrieren. Sie fühlte sich oft allein gelassen. Nach einer Zwangspause durch die Corona-Pandemie orientierte sie sich neu und gründete found it =. Das ist ein Verein, der andere Menschen mit Behinderung bei ihrer Gründung unterstützt. Denn andere sollen nicht auf so viele Barrieren stoßen, wie sie es damals erlebt hat. Ihre Erfahrungen aus der eigenen Gründung und ihr Netzwerk bringt Amrei Feuerstack dort ein.
Alle Berater*innen und Coaches, die dort arbeiten, haben selbst eine Behinderung. Die Beratung ist für die Ratsuchenden kostenlos. Das Geld kommt über Spenden und Fördergelder. Dann kann die Beratung starten: Gemeinsam arbeitet man einen Businessplan und ein Marketingkonzept zum eigenen Unternehmen aus und erstellt einen Zeitplan. Es folgen Pläne zur Finanzierung und zu Anträgen für Arbeitshilfen. Da das Unternehmen hauptsächlich online arbeitet, betreut es Ratsuchende in ganz Deutschland.
Heiko Burak unterrichtet Gebärdensprache
Er hat nach dem Abitur seinen Bachelor in Bioingenieurwesen gemacht, in einem Startup gearbeitet – und sich dann für einen ganz anderen Weg entschieden. Kurz nach seiner Geburt bekam er die Diagnose „taub mit Hörresten“. Und so bewegte sich Heiko Burak immer zwischen Gebärdensprache und Lautsprache. Mit 18 Jahren bekam er ein Cochlea Implantat und kann seitdem mit dessen Hilfe hören. Seine Kenntnis zweier Kulturen und Sprachen mündete 2021 in der Gründung der „Heiko Burak Gebärdensprache GmbH“.
Online lernen Kunden von ihm die Deutsche Gebärdensprache in einjährigen Einzel-Coachings. In einer Mischung aus Videos, persönlichen Treffen und Lerneinheiten sind die meisten seiner Schüler*innen schon nach drei Monaten fit für die ersten Unterhaltungen. Dieses System möchte er nun weiter ausbauen, die ersten Mitarbeiter sind schon eingestellt, weitere sollen folgen. Und auch den Kundenstamm möchte Heiko Burak weiter ausbauen: Durch seine AZAV-Zertifizierung kann er nun Fortbildungen anbieten, die entweder vom Arbeitgeber oder der Agentur für Arbeit finanziert werden.
Hilfreiche Links zur Selbstständigkeit mit Behinderung
Existenzgründungsportal des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK):
https://www.existenzgruendungsportal.de/Navigation/DE/Home/home.html
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMWK erreichen Sie:
- bei Fragen zu Mittelstand und Existenzgründung unter Tel.: (030) 340 60 65 60,
- jeweils montags bis donnerstags von 8:00 bis 18:00 Uhr
- und freitags von 8:00 bis 12:00 Uhr;
- bei Förder- und Finanzierungsfragen unter Tel.: (030) 186 15 8000,
- jeweils montags bis freitags von 8:00 bis 18:00 Uhr.
Hier finden Sie eine allgemeine Beratung zum Thema Gründung in Ihrer Nähe: https://www.existenzgruendungsportal.de/Navigation/DE/Netzwerke/Deutschland-Karte/deutschland_karte.html
Gründerplattform mit einer guten Anleitung und Schritt-für-Schritt-Tools: https://gruenderplattform.de/services/gruenden-mit-behinderung
Hier gibt es auch einen Förderprogramm-Finder: https://gruenderplattform.de/finanzierung-und-foerderung/finanzierung-finden/foerderung-bekommen
Mit diesem kostenlosen Online-Tool können Sie Ihren Businessplan erstellen: https://gruenderplattform.de/businessplan
Leitfaden „Existenzgründung und Existenzerhaltung für schwerbehinderte Menschen“ vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS): https://www.kvjs.de/fileadmin/publikationen/ratgeber/KVJS-Ratgeber-Existenzgruender-R-Barrierefrei-1.pdf
Deutschlandweite Gründungsberatung speziell für Menschen mit Behinderung gibt es bei
- https://b-e-s-s-e-r.de/
- https://found-it.org/
- Für alle, die in Berlin wohnen gibt es Enterability https://berlin.enterability.de/