„Wir werden in die Planungen des Nahverkehrs in Augsburg eingebunden“
Claudia Nickl ist Behindertenbeauftragte der Stadt Augsburg und Vorsitzende des örtlichen Behindertenbeirates. Im Interview erklärt sie, weshalb Barrierefreiheit in der Nahverkehrsplanung in Augsburg schon fast zum Selbstläufer geworden ist und wie Menschen mit Behinderung daran beteiligt werden.
Frau Nickl, wie gut sind Menschen mit Behinderung in die Nachverkehrsplanung in Augsburg eingebunden?
Wir vom Behindertenbeirat sind in alle Planungen, was den ÖPNV betrifft, eingebunden, und die Barrierefreiheit wird in den meisten Fällen, wie es die DIN-Norm vorgibt, eingehalten. Beim Kauf von Bussen und Straßenbahnen werden wir vorher bei der Ausstattung gefragt. Bestehende Haltestellen, die noch nicht barrierefrei sind, werden nach und nach umgebaut. Wir sind eingebunden in das Stadtentwicklungskonzept und in den Augsburger Mobilitätsplan und stimmberechtigt im Mobilitätsbeirat der Stadt. Der Nahverkehr wird von vielen Menschen mit Behinderung in Augsburg genutzt. Wir arbeiten mit den Stadtwerken und dem Tiefbauamt eng zusammen, was die Barrierefreiheit betrifft. Sie nehmen die Stellungnahmen vom Behindertenbeirat ernst und beheben Mängel möglichst zeitnah.
Das klingt, verglichen mit vielen anderen Orten in Deutschland, schon fast zu schön, um wahr zu sein. Wie ist die gute Beteiligung von Menschen mit Behinderung in Augsburg organisiert? Was macht sie so erfolgreich?
Den Behindertenbeirat in Augsburg gibt es schon seit 25 Jahren. Er besteht aus von Behinderung betroffenen Personen, aus Verbandsvertreterinnen und Vertretern sowie Mitgliedern von Elterninitiativen. Mindestens einmal jährlich findet eine Versammlung der Augsburger Bürger*innen mit Behinderung statt, bei der die Bürgerinnen und Bürger Anträge stellen können und die Teilnehmenden rede- und abstimmungsberechtigt sind, die einen Grad der Behinderung von mindestens 50 haben oder gleichgestellt sind. Der Behindertenbeirat berät den Stadtrat und die Verwaltung und informiert die Bürgerinnen und Bürger. Er ist in sechs Fachbereiche gegliedert, einer davon ist „Verkehr und Mobilität“.
Um sich erfolgreich für Barrierefreiheit einzusetzen, ist es wichtig, mit ein bisschen Weitsicht und mit Herzblut an die Dinge heranzugehen. Vor allem bei bestehenden Gebäuden und vorhandener Infrastruktur ist manchmal vollständige Barrierefreiheit schwierig. In der Bauordnung ist in Bezug auf Barrierefreiheit nichts explizit festgeschrieben. Da muss man auch mal Kompromisse eingehen und versuchen, das Beste herauszuholen.
Um sich erfolgreich für Barrierefreiheit einzusetzen, ist es wichtig, mit ein bisschen Weitsicht und mit Herzblut an die Dinge heranzugehen.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Stadt konkret aus?
Alle neuen Planungen werden dem Behindertenbeirat vorgelegt, und wir behandeln die Themen im Bau-Jour-fixe, der regelmäßig tagt. Wir müssen uns in der Regel gar nicht mehr selbst melden, die Pläne werden der Geschäftsführung zugeleitet. Natürlich ist auch bei uns in Augsburg nicht alles barrierefrei, das ist in einer historischen Stadt oft nicht möglich. Aber wir sind immerhin dahin gekommen, dass die Planerinnen und Planer Barrierefreiheit immer mit im Blick haben. Ein Beispiel von vor wenigen Tagen: Bei einer Verlängerung der Straßenbahn ist ein Spalt entstanden, in dem Nutzende mancher Rollstuhlmodelle hängen geblieben sind. Wir haben einen Termin mit den Stadtwerken und mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern gemacht, um diese Barriere abzubauen.
Ein anderes Beispiel: In Augsburg wird gerade ein neuer Bahnhof gebaut. Wir sind von Anfang an mit im Boot und stolz darauf, dass der neue Bahnhof für Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen barrierefrei entsteht. Bei der Neugestaltung der Fußgängerzone wurde ein Blindenleitsystem eingefräst, doch leider fehlen die Kontraste, was für sehbehinderte Menschen wichtig wäre. Doch dieser Antrag wurde im Stadtrat abgelehnt.
Was braucht man dafür, dass Beteiligung gut funktioniert?
Man braucht funktionierende Strukturen, aber auch Menschen im Rathaus und auf allen Seiten, die das Thema voranbringen wollen. Man muss Kontakte knüpfen und wissen, wie man die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure ansprechen sollte. Augsburg ist keine Millionenstadt. Man kennt sich untereinander, das ist sicherlich auch ein Vorteil.
Welche Methoden der Bürger*innenbeteiligung waren in Augsburg außerdem noch erfolgreich?
Vor drei Jahren haben wir einen Aktionsplan Inklusion für Augsburg erarbeitet. Dazu wurden auch die Bürgerinnen und Bürger befragt, wie sie sich eine barrierefreie Stadt vorstellen. Es gibt regelmäßige Steuerungsgruppen zum Aktionsplan, und der Behindertenbeirat ist immer mit im Boot. Beim Thema Bauen und Wohnen sowie Verkehr und Mobilität läuft vieles schon von selbst. Doch Barrierefreiheit in allen Lebenslagen hat noch weitere Bereiche, die genauso wichtig sind. Da möchte ich zum Beispiel die Leichte Sprache, Piktogramme, Digitalisierung, Kultur und Freizeit nennen.