Behörden: Schlechte Erfahrungen sind keine Einzelfälle
Frau Krause, Frau Rüffer, welche Aussagen aus der Umfrage haben Sie am meisten überrascht?
Corinna Rüffer: Am meisten hat mich die enorme Resonanz überrascht. Schon nach kurzer Zeit haben sich Tausende von Menschen beteiligt. Das zeigt, wie groß der Leidensdruck unter den Menschen ist, die auf Leistungen unterschiedlichster Art angewiesen sind.
Carolin Krause: Mich hat vor allem überrascht, dass sich nur zehn Prozent der Teilnehmer angemessen und gut behandelt fühlten. Das ist natürlich krass. Allerdings hoffe ich sehr, dass zehn Prozent nicht den echten Querschnitt zeigen, sondern den Schnitt derjenigen, die sich herausgefordert sahen, sich an dieser Umfrage zu beteiligen. Alles andere hat mich, ehrlich gesagt, nicht überrascht. Ich weiß, dass es so ist. Da sehe ich noch großen Handlungsbedarf auf allen Ebenen.
Die Umfrage zeigt, dass sich viele Antragsteller mit Behinderung gegenüber Leistungsträgern als Bittsteller fühlen. Können Sie das nachvollziehen?
Krause: Ich kann das gut nachvollziehen. Ein Grund dafür ist sicher der, dass man sich per se nicht auf Augenhöhe fühlt, wenn man seine Vermögensverhältnisse und seinen Gesundheitszustand immer wieder bis ins Detail vor einer Behörde darlegen muss. Aber das ist etwas, das schwer zu beeinflussen ist.
Rüffer: Es liegt aber auch am Umgang der Behörden mit den Antragsteller*innen. Eigentlich müssten wir eine Dienstleistungsmentalität in Behörden haben, von der aber zu wenig zu erkennen ist. Davon hängt auch ab, ob die Kommunen und Träger der Eingliederungshilfe tatsächlich das tun, wozu sie beauftragt sind, nämlich die Menschen umfänglich über ihre Leistungsrechte zu informieren. Nur auf dieser Grundlage kann ein Gespräch auf Augenhöhe funktionieren.
Haben Sie in Ihrer Behörde genügend personelle Ressourcen und Kompetenzen, um die Kunden so zu beraten, wie es nötig wäre, Frau Krause?
Krause: Natürlich haben wir die Kompetenz, umfassend zu beraten. Bei den personellen Ressourcen gab es hier in Bonn zwischenzeitlich große Probleme. Aufgrund von Krankheit und Ruhestand hatten wir innerhalb kürzester Zeit eine Ausfallquote von 13 Prozent. Das senkte auch die Motivation der Verbliebenen. Wir mussten Berge von Rückständen aufarbeiten. Inzwischen sind wir aber wieder sehr viel besser.
Rüffer: Ich sehe schon einen grundsätzlichen Mangel an personellen Ressourcen in der öffentlichen Verwaltung. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt zudem, dass der öffentliche Dienst für Beschäftigte nicht besonders attraktiv ist. Selbst wenn dort Stellen ausgeschrieben sind, ist es nicht einfach, diese entsprechend zu besetzen, zumal das Anforderungsprofil steigt bei vergleichsweise geringen Gehältern. Häufig sind ja die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltungen überfordert mit den Fragestellungen, mit denen sie konfrontiert werden – ohne ihnen daraus einen Vorwurf zu machen.
Krause: Ein Problem ist auch, dass wir immer noch sehr viele Zuständigkeiten unterschiedlicher Behörden und Träger haben, und das wird durch Gesetzesänderungen kaum besser.
Ob Leistungen gewährt werden oder nicht hängt – das hat auch die Umfrage bestätigt – sehr davon ab, in welcher Kommune, in welchem Bundesland man lebt. Liegt das nur an der jeweiligen Kassenlage?
Krause: Es gibt Kommunen, die auch bei Pflichtleistungen sagen: bis zu der Summe und nicht weiter. Bei Haushaltsberatungen habe ich schon gesehen, dass die Kämmerei mit dem Rasenmäher in jedem Budget, sagen wir mal, fünf Prozent gestrichen hat. Aber das habe ich in Bonn noch nicht erlebt.
Rüffer: Die Kassenlage ist sicher ein Aspekt für die Gewährung von Leistungen. Aber es kommt auch darauf an, wie sehr das Thema Inklusion in einer Stadtgesellschaft und in der Stadtverwaltung verankert ist. Wir haben Kommunen, die frühzeitig angefangen haben, Inklusionskonzepte auf den Weg zu bringen und die beteiligten Akteure mit an Bord zu nehmen. Wenn die Stadtspitze hinter dem Thema steht, wird sich auch die Genehmigungskultur innerhalb der Verwaltung ändern.