Barrierefreiheit bei Sportveranstaltungen
Großveranstaltungen als gesellschaftliche Erlebnisräume
Vor einigen Jahren fragte mich mein blinder Bekannter Maurice, ob wir nicht einmal gemeinsam zu einem Handballspiel gehen wollten. Die Stimmung in einer Sporthalle, nah am Spielfeld, zwischen vielen anderen jubelnden Menschen und geschützt vor Wind und Wetter ist natürlich etwas anders als in den fast immer offenen Fußballstadien, die wir vorher besucht hatten. So komisch es klingt: Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass es nicht nur Fußballstadien sind, in denen sich viele tausend Gleichgesinnte, Sportliebhaber, aber auch Musik- oder Kulturfans treffen können. Jung und alt, klein und groß, füllig und schmal – kurz: ein Querschnitt unserer Gesellschaft. Seit diesem Gespräch mit Maurice betrachte ich jegliche Formen von Großveranstaltungen mit anderen Augen. Es sind Begegnungsräume, in denen wir über die Leidenschaft zu einer Handballmannschaft, einer Musikgruppe oder einem Theaterstück und auch vielem mehr ins Gespräch kommen können. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Großveranstaltungen bieten als Orte, wo Menschen zumeist freiwillig ihre Freizeit verbringen, optimale Bedingungen, um Barrieren – auch in unseren Köpfen – abzubauen.
Services zur Barrierefreiheit – die Bereitschaft ist da
Es gibt dafür allerdings eine Voraussetzung: Es muss noch ein besserer Zugang für Menschen mit Behinderung geschaffen werden. Teilhabe ist das Stichwort. Nur wenn Menschen mit Behinderung an Veranstaltungen auch wirklich teilhaben können, im besten Falle durch Services zur Barrierefreiheit unterstützt werden, geht die Rechnung auf. Doch hier fehlt es Sportstätten, Kultureinrichtungen, Städten, Kommunen oder auch Privat-Veranstaltern häufig an Kenntnis über die verschiedenen Bedürfnisse, Möglichkeiten und auch Chancen, die Services zur Barrierefreiheit mit sich bringen. Eine grundlegende Bereitschaft und den Willen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung spüre ich. Die meisten Veranstalter mit denen ich spreche, begegnen dem Thema sehr offen, erkennen dessen gesellschaftliche Bedeutung. Und haben sicherlich auch verstanden, dass eine nicht unerhebliche Menge an möglichen Besucherinnen und Besuchern bisher im übertragenen Wortsinn „nicht abgeholt“ wurde.
Aktion Mensch fördert Barrierefreiheit
Mit dem Förderprogramm „Barrierefreiheit für alle" der Aktion Mensch gibt viele Möglichkeiten, Barrieren für Menschen mit Behinderung abzubauen - nicht nur im Bereich von Sportstätten. Von der Mikroförderung für kleine, lokale Vorhaben über die Projektförderung für bauliche, digitale oder technische Barrierefreiheit bis hin zur Anschubfinanzierung größerer Vorhaben kann eine Förderung beantragt werden. Unser Ziel: Alle Bereiche des Lebens, egal ob online oder offline, sollen für Menschen mit und ohne Behinderung erreichbar, zugänglich und nutzbar sein.
Teilhabe bei Sportveranstaltungen ermöglichen – aber wie?
Viele Veranstaltungsorte bezeichnen sich selbst als „barrierefrei“, was nicht stimmt. Natürlich ist dieser Hinweis grundlegend gut gemeint. Fakt ist jedoch, dass mit „barrierefrei“ fast immer nur die so genannte „bauliche Barrierefreiheit“ gemeint ist. Also zum Beispiel die Möglichkeit des Zugangs. Die Stichworte sind häufig: „Rollstuhlrampen“, „ebenerdig“, „Fahrstühle“ und „behindertengerechte WCs“. Wünschenswert, aber seltener sind Leitlinien angebracht, die Menschen mit einer Sehbehinderung bei der Orientierung helfen würden.
Überhaupt keine Barrierefreiheit ist garantiert, wenn es um das Erlebnis der Veranstaltung geht. Menschen mit einer Hörbehinderung können gesprochene Informationen nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen. Dabei geht es um ganze 7,3 Millionen Menschen in Deutschland, die hochgradig schwerhörig sind, weitere 80.000 sind gehörlos. Im Zweifel bekommen sie den Hallensprecher, Halbzeit-Gewinnspiele, Sicherheitsinformationen oder auch die Einlauf-s-Musik nicht mit. Es helfen Untertitel auf einer Videoleinwand oder ein Gebärdendolmetscher – am besten beides. Nebenbei können Untertitel auch für Deutschlernende eine sinnvolle Unterstützung darstellen.
Fast gänzlich unbeachtet ist bisher die Gruppe der sehbehinderten und blinden Menschen – rund 1,2 Millionen Personen in Deutschland – Tendenz steigend. Ihnen kann eine so genannte Audiodeskription helfen (übersetzt: Hör-Beschreibung, manchmal auch „Blindenreportage“ genannt). Es handelt sich dabei um eine Art zusätzliches Hör-Erlebnis, das je nach Veranstaltung aufgezeichnet oder auch live gesprochen werden kann. Geschulte Reporter beschreiben und erklären alles, was für Menschen, die nicht oder nur eingeschränkt sehen können, nicht zugänglich ist. Beispielsweise die Parade eines Torhüters, wo genau sich der Ball auf dem Spielfeld befindet oder mit wie viel Abstand eine Sprinterin ein Rennen gewonnen hat und wie sie ihren Sieg feiert.
Audiodeskription kann auch für Menschen mit bestimmten körperlichen Einschränkungen, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder älteren Menschen eine sinnvolle Unterstützung sein.
Hier ein kleiner Hör-Eindruck:
Leitfäden
Veranstaltungsplanung mit Weitsicht
Neben den Angeboten zur Barrierefreiheit am Veranstaltungstag kann die Unterstützung für Menschen mit Behinderung auch noch viel früher beginnen. Denn die Entscheidung, zu einer Veranstaltung zu gehen, beginnt nicht erst im Stadion oder in der Halle.
Themen wie Ticketerwerb, zielgruppenspezifische Bewerbung von Veranstaltungen, Hilfestellungen bei der Anfahrt, Begleitservices oder auch eine auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung abgestimmte Sitzplatzverteilung rücken in der Arbeit zur Barrierefreiheit bei Veranstaltungen mehr und mehr in den Fokus. Gut so! Es ist aber noch viel zu tun, denn auch hier hängt Deutschland im europaweiten Vergleich eher zurück.
Sie finden eine kompakte Checkliste zur Barrierefreiheit Ihrer Veranstaltung im Inklusionsportal der Aktion Mensch.
Initiativen, die als Dienstleister unterstützen können
Immerhin ist mit einigen Projekten im Bereich der Fußball-Bundesliga sichergestellt, dass die Themen Barrierefreiheit und Teilhabe mitgedacht und angepackt werden. So gibt es zum Beispiel für Fußballfans mit Handicap die Beratungsstelle Inklusion im Fußball „KickIn!“. Über Schulungen, Projekte und Beratung für Fans, Verbände und Vereine sollen im deutschen Profifußball nachhaltig inklusive Strukturen für alle Beteiligten geschaffen werden – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Fähigkeiten und sozialem Status.
Spezieller mit dem Themenfeld Audiodeskription / „Blindenreportage“ vornehmlich im Sportbereich befasst sich das Projekt „T_OHR“ des AWO-Passgenau Trägerverbund der Fanprojekte e.V. Neben Audiodeskription im Fernsehen ist die Firma AUDIO2 aus Hamburg und Wien auf den Bereich (Live-)Untertitel spezialisiert.
Ich selbst habe vor einigen Jahren das gemeinnützige Unternehmen HörMal Audiodeskription ins Leben gerufen. Unser Team kooperiert sowohl mit Sportverbänden als auch mit Kulturveranstaltern, um (Live-)Audiodeskription als barrierefreien Service auf Veranstaltungen zu etablieren. Unser Ziel ist, Veranstalter auf die Belange von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen. Deshalb beraten wir auch zu den Themen: barrierefreie Medien, Budgetplanung und zu Fragen der technischen Umsetzbarkeit von barrierefreien Angeboten. Wir arbeiten zudem eng mit Menschen mit Sehbehinderung an Verbesserungen von Veranstaltungserlebnissen zum Beispiel in Bezug auf barrierefreien Ticketerwerb, Anreisemöglichkeiten und die zielgruppenspezifische Bewerbung von Veranstaltungsangeboten.
Alles in allem müssen barrierefreie Angebote gemeinschaftlich gestaltet werden. Die Erfahrungen der Betroffenen sollten unbedingt Gehör finden. Denn so gelingt es, wie bei meinem Erlebnis mit Maurice, über den Tellerrand zu blicken.