Charlotte Zach: „Die politische Kraft der EUTB nutzen“
Vor zehn Jahren hätte sich Charlotte Zach eine Peer-Beraterin gewünscht – heute ist sie selbst eine. Ein Beitrag über die politische Wirkkraft von EUTBs.
„Mein Name ist Charlotte Zach. Ich bin Psychologiestudentin, Spastikerin und Rollstuhlfahrerin. Seit Februar 2019 arbeite ich als Peer-Beraterin in einer EUTB in Hildesheim. Als ich 18 Jahre alt wurde, wollte ich gern unabhängig werden und von zu Hause ausziehen. Da ich aber im Alltag vielfach auf Hilfe angewiesen bin, habe ich dafür keine Perspektive gesehen. Wie sehr hätte es mir damals geholfen, mich mit jemandem auszutauschen, der etwas Vergleichbares für sich gemeistert hat! Ich hätte eine*n Peer-Berater*in gebraucht.
Mut machen für den selbstbestimmten Weg
Heute lebe ich in meiner eigenen Wohnung und organisiere mein Leben selbstständig durch Assistenz. Meine Arbeit als Peer-Beraterin verstehe ich als eine Schnittstelle zwischen individueller Beratung und der Mitarbeit an einer strukturellen und politischen Umgestaltung. Diese beiden Aspekte sind für mich nicht voneinander zu trennen. In meiner Arbeit greife ich oft auf Erfahrungen aus meiner Biografie zurück, um Klient*innen Mut zu machen und sie darin zu bestärken, ihren selbstbestimmten Weg zu gehen. Das muss keineswegs der „deinstitutionalisierte“ Lebensweg sein. Selbstbestimmung bedeutet, mit Klient*innen verschiedene Möglichkeiten zu entwickeln, sodass sie eine freie Entscheidung treffen können. Und sie bedeutet auch, dass die individuellen Lebensentwürfe der Menschen zur Grundlage der Hilfeleistungen werden. Immer wieder wird diese freie Entscheidung noch durch den Widerstand von Behörden oder Anbietern beschränkt.
Teilhabeberatungsstellen: Katalysatoren für einen Paradigmenwechsel
Hier können und müssen die Teilhabeberatungsstellen Katalysatoren eines Paradigmenwechsels sein! Es braucht eine klare Positionierung dazu, dass die behördliche Akzeptanz und die strukturellen Rahmenbedingungen für individualisierte Leistungen gezielt verändert werden müssen! Nur so können die EUTBs ihrem Leitbild gerecht werden, in dem steht, dass Berater*innen nur der Rat suchenden Person verpflichtet sind.
Meine Arbeit als Peer-Beraterin verstehe ich als eine Schnittstelle zwischen individueller Beratung und der Mitarbeit an einer strukturellen und politischen Umgestaltung.
Mehrwert durch Menschen mit Behinderung im Hilfesystem
In meinen Beratungen geht es oft darum, für Übersicht zu sorgen, wenn mein Gegenüber vor einem Berg aus Fragen sitzt. Auch bestärke ich Ratsuchende darin, dass „emotionale Begleiterscheinungen“ wie Sorge, Angst oder Wut ihre Berechtigung haben und ausgedrückt werden dürfen. Ich bin sicher, dass das vielen Klient*innen leichter fällt, wenn die Beratende eine ähnliche Situation selbst erfahren hat. Dass die eigene Erfahrung ein Mehrwert in der Beratung ist, wird immer mehr Menschen klar. Auch, dass die Beschäftigung von behinderten Menschen gerade – aber nicht nur! – in der Behindertenhilfe unerlässlich ist, wird vielen bewusst. Das war nicht immer so. Lange prägte ein Fürsorgegedanke die Behindertenhilfe; die Wünsche und Vorstellungen von Betroffenen wurden nicht oder kaum beachtet.
EUTBs empowern Menschen mit Behinderung
Dieser Hintergrund zeigt besonders deutlich, welche politische Tragweite die EUTBs haben. Erstmals installiert und finanziert die Bundesrepublik eine flächendeckende Struktur, die die Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung im Hilfesystem als Kernelement festlegt. Damit sind die EUTBs der größte Zusammenschluss von beeinträchtigten Menschen, den es in Deutschland je gegeben hat – und die erstmalige Institutionalisierung und staatliche Befürwortung von Empowerment in der Behindertenrechtsbewegung. Das hat eine politische Wirkkraft, die wir uns zu nutzen trauen sollten, um Autonomie und Selbstbestimmung von behinderten Menschen zu forcieren!"