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Portrait der Para-Sportlerin Denise Schindler
Denise Schindler

Denise Schindler: „Die Spiele sind ein Anker“  

Im Interview spricht Denise Schindler, ehemalige Para-Radsportlerin und TV-Expertin, über die Bedeutung der Paralympics, den Einfluss der Spiele auf Inklusion im Breitensport sowie die Herausforderungen der Berichterstattung über die Paralympics. Sie erklärt, warum die Paralympics ein wichtiger Schritt für mehr Inklusion sind und wie Parasportler*innen in der Gesellschaft noch mehr Anerkennung erfahren können.

Du warst als Parasportlerin wiederholt bei den Paralympischen Spielen dabei und zuletzt auch als Medienexpertin für das ZDF. Wie schätzt du den Einfluss der Paralympics auf den Leistungs- und Breitensport ein? Welchen Einfluss haben die Spiele für Menschen mit Behinderung?

Die Paralympics haben weltweit die größte Strahlkraft im Parasport. Das zeigte sich besonders beeindruckend bei der Eröffnungsfeier in Paris unter dem Motto „Die Revolution der Inklusion“. Die Zuschauer*innen erleben bei den Paralympics sportliche Leistungen von Menschen mit Behinderung, die sie oft nicht für möglich gehalten haben. Das fördert ein Umdenken und macht auf die Themen Behinderung und Inklusion aufmerksam. Die Paralympische Bewegung hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Die Spiele sind ein wichtiger Anker, ein Leuchtturm. Wer einmal dabei war, den lässt der Zauber nicht mehr los.

Von hier aus muss es aber weitergehen. Es reicht nicht, alle vier Jahre ein großes Event zu haben. Die Paralympics bringen, wie man so schön sagt, den Stein ins Rollen, insbesondere in den Austragungsstätten. Diese müssen sich verstärkt mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung auseinandersetzen. Ich habe das persönlich in Vancouver erlebt, wo ich ein Jahr gelebt habe. Nach den Winterspielen 2010 war Barrierefreiheit dort überall selbstverständlich geworden. Auch Paris musste sich dem Thema stellen. Trotz Herausforderungen durch die historische Bausubstanz hat sich viel getan.

Die Zuschauer*innen erleben bei den Paralympics sportliche Leistungen von Menschen mit Behinderung, die sie oft nicht für möglich gehalten haben. Das fördert ein Umdenken.

Denise Schindler
Parasportlerin Denise Schindler auf dem Rad

Denise Schindler

Denise Schindler (*1985 in Chemnitz) ist eine deutsche Para-Radsportlerin. Nach einem Unfall im Alter von zwei Jahren, bei dem sie ihren rechten Unterschenkel verlor, entdeckte sie mit 18 Jahren das Radfahren für sich. Sie gewann mehrere Weltmeistertitel und errang bei den Paralympics insgesamt vier Medaillen. 2024 beendete sie ihre aktive Karriere und ist seitdem als TV-Expertin für das ZDF tätig. Zudem wurde sie 2021 in die Athletenkommission des Weltradsportverbands UCI gewählt.

Wie nachhaltig sind die Auswirkungen eines solchen Mega-Events?

Ich bin sicher, dass die Spiele dauerhafte positive Veränderungen bewirken. Die Bürgermeisterin von Paris hat zum Beispiel angekündigt, die Metro barrierefreier zu gestalten. Ein weiteres Beispiel ist der Rollstuhl-Service bei den Paralympics, der lange Wegstrecken für Menschen mit Behinderung erleichterte. Solche Konzepte können auf andere Veranstaltungen übertragen werden. Veränderungen brauchen Zeit und der Prozess des Bewusstwerdens ist der Grundstein.

Was wäre in Deutschland besonders wichtig, um mehr Inklusion im Breitensport zu erreichen?

Kinder sollten von klein auf die Möglichkeit haben, an inklusiven Sportangeboten teilzunehmen. Deshalb unterstütze ich die Initiative „EISs – Erlebte Inklusive Sportschule“ , die Vereine bei der Umsetzung solcher Angebote unterstützt. Wenn Inklusion für Kinder selbstverständlich ist, setzt sich das im Erwachsenenalter fort.

Viele Behinderungen entstehen erst im Laufe des Lebens. Dann ist es wichtig, den Weg zurück in den Sport zu finden. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern dabei zu sein und die eigenen Fähigkeiten nutzen zu können. Hierfür braucht es passende Angebote und einen Bewusstseinswandel. Noch fehlt vielerorts der barrierefreie Zugang zu Vereinen und Sportstätten. Da gibt es Nachholbedarf.

In der öffentlichen Wahrnehmung sind Paralympionik*innen zunehmend akzeptiert. Viele machen keinen Unterschied zwischen Olympia und Paralympics.

Denise Schindler

Wie sieht es beim Zugang zu Sponsoren und Trainingsinfrastruktur für Parasportler*innen aus?

In Deutschland gibt es Olympiastützpunkte, die Athlet*innen unterstützen. Doch die Zugänglichkeit für Parasportler*innen ist regional unterschiedlich. Manche Stützpunkte sind für Sportler*innen mit komplexen Behinderungen oder im Rollstuhl kaum nutzbar. Hier muss noch viel passieren. Es gibt aber auch positive Beispiele wie das Sportland Brandenburg, das gezielt den Parasport fördert, Stellen für Trainer*innen schafft und spezielle Physiotherapie anbietet. Dieses Engagement zahlt sich aus und hat sich auch in Nominierungen und Medaillen widergespiegelt.

 

Die neue Studie „Paralympics und Inklusion“ der Aktion Mensch zeigt: Zuschauer*innen sehen die Paralympics als Teil des Olympischen Sports, doch viele Parasportler*innen empfinden sich als Sportler*innen „zweiter Klasse“. Woran liegt das?

In der öffentlichen Wahrnehmung sind Paralympionik*innen zunehmend akzeptiert. Viele machen keinen Unterschied zwischen Olympia und Paralympics. Doch bei Auszeichnungen und Einladungen zu hochkarätigen Sportveranstaltungen sind wir unterrepräsentiert. Bei der Wahl zum Sportler des Jahres finden sich Parasportler*innen vielleicht in den Top Ten, gewinnen aber nie. Das ist frustrierend, weil die Leistungen herausragend sind. Hier gibt es noch Luft nach oben in Sachen Anerkennung und Präsenz.

Die finanzielle Förderung hat sich in den letzten zehn Jahren verbessert, aber wir sind noch nicht auf dem Niveau anderer Spitzensportler*innen. Viele von uns decken gerade so ihre Kosten. Deshalb müssen wir als Sportler*innen auch selbst aktiv werden, etwa über Social Media eigene Kanäle aufbauen und eigene Sponsoren gewinnen.

Denise Schindler mit einem anderen Moderator im ZDF Sportstudio
Denise Schindler mit Florian Zschiedrich im ZDF-Studio

In Paris warst du erstmals als Expert*in bei der Medienberichterstattung dabei. Was war deine Aufgabe?

Ich habe für das ZDF an der Seite von Moderator Florian Zschiedrich die Spiele kommentiert und Einblicke in die paralympische Welt und deren deutschen Athlet*innen gegeben. Meine Aufgabe war es, die einzelnen Sportarten, die teils komplexen Klassifizierungen und die besonderen Regeln zu erklären. Wie funktioniert Blindenfußball? Welche Besonderheiten gibt es? Welche Geschichten stecken hinter den Sportler*innen? Was macht Sie aus? Es ist wichtig, hier jemanden aus der paralympischen Welt zu haben.

Wie schätzt du die Medienresonanz zu den Paralympics ein?

Die Zuschauerzahlen waren in Paris so hoch wie nie zuvor. Wir hatten viel Sendezeit. Die Nachfrage der Medien war groß, es gab mehr Live-Übertragungen als je zuvor.

Die Studie zeigt aber auch, dass das Interesse nach den Spielen schnell nachlässt. Woran liegt das?

Das liegt vor allem daran, dass nach den Paralympischen Spielen lange keine weiteren Parasport-Events live übertragen werden. Entweder gibt es wenig Interesse von Seiten der Medien, oder es fehlen TV-Signale von den Veranstaltern. Die Sender sind auf die Professionalität der Veranstalter angewiesen, um eine Berichterstattung umsetzen zu können.

Hier wäre mehr Engagement der Veranstalter gefragt. Als Athletenvertreterin im Para-Radsport und im IPC setze ich mich dafür ein. Doch natürlich ist das Bereitstellen von TV-Signalen mit hohen Kosten verbunden. Hier müssen wir gemeinsam nach Lösungen suchen, um das Interesse am Parasport langfristig aufrechtzuerhalten.

Studie Paralympische Spiele und Inklusion

Das Interview mit Denise Schindler haben wir anlässlich der neuen Studie "Paralympische Spiele und Inklusion – Wie die Paralympics Paris 2024 die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Beeinträchtigung beeinflussen" geführt. Hier erfahren Sie mehr zur Studie. 

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