Freiarbeit in der Schule
Nach Wochenplan und Werkstatt bildet Freiarbeit die drittflexibelste Methode offenen Unterrichts. Ansätze hierzu gibt es unter anderem von Peter Petersen und Maria Montessori. Als Begründer der Freiarbeit gelten jedoch allgemein die Pädagogen Friedrich Fröbel, „Erfinder“ des Kindergartens, und Célestin Freinet.
Auf einen Blick
Schwerpunkt
Selbständiges, überwiegend individuelles Lernen in einer vorbereiteten Umgebung
Voraussetzungen
Vorbereitete Lernumgebung mit Arbeitsmaterialien
Schüler- und Lehrerrolle
Die Schüler bekommen mittels der vom Lehrer ausgewählten Arbeitsmittel Hilfe zur individuellen Selbsthilfe. Der Lehrer ist Lernbegleiter.
Material
begrenzte Anzahl ansprechender, zielorientierter, handlungsauffordernder Arbeitsmittel, mit denen ohne Hilfe gearbeitet werden kann
Kontrolle
Kontrolle durch Arbeitsmittel (Selbstkontrolle), evtl. durch Partner, nur in Ausnahmen durch den Lernbegleiter
Inhalt
abhängig von der Vorauswahl der Arbeitsmittel durch den Lehrer vom Schüler bestimmbar
Methoden
abhängig von der Offenheit des Materials
Sozialform
materialabhängig vom Schüler frei wählbar
Zeitpunkt und Dauer
vom Schüler frei wählbar
Nähe zu anderen Methoden
Eine Vorstufe der freien Arbeit bildet die Wochenplanarbeit. Der schweizer Reformpädagoge Jürgen Reichen sieht zudem in seinem Konzept des Werkstattunterrichts eine Form der Freiarbeit. Es gebe „ein offenes Arrangement von Lernsituationen und Materialien, bei dem die Schüler aus einem Lernangebot auswählen und teilweise auch eigene Ideen verwirklichen können.“ Sein Konzept beinhaltet jedoch eine Menge sehr konkreter und praxisnaher Hinweise, die es enger umgrenzen, als den weiten Begriff der Freien Arbeit.
Prinzip
Bei der Freiarbeit (auch: Freie Arbeit) handelt es sich um eine tägliche oder wöchentliche Übungsphase, die im Stundenplan wie ein Fach gehandhabt und durch Informationsunterricht oder die Einführung bestimmter Inhalte ergänzt wird. Basis dieser Phase bildet ein größeres Angebot von Lern- und Übungsmaterialien. Das Material ist auf die Lerninhalte der Klasse abgestimmt und das zentrale Element der Freiarbeit. Idealerweise wächst und verändert es sich im Laufe der Zeit.
Aus dem Pool zur Verfügung stehender Materialien wählen die Schüler selbst aus, was sie bearbeiten möchten. Außerdem entscheiden sie, wie lange ihre Übungsphase dauern soll. Die Steuerung des Lernprozesses liegt also ganz bei ihnen: Jeder Schüler setzt sich ein Lernziel, das er in Eigenleistung und mit hoher persönlicher Freiheit zu erreichen versucht. Eigenverantwortung hinsichtlich der Auswahl von Inhalt und Arbeitsform sowie der Planung der Lernaktivität(en) bilden entscheidende Prinzipien.
Neben der Pädagogik Friedrich Fröbels beruht die Freiarbeit auf derer Célestin Freinets. Bekannt ist Freinet etwa für den Einsatz von Karteikästen oder Druckereien im Unterricht. Seine pädagogische Grundauffassung besteht darin, dass Kinder lernen wollen und dies unter den richtigen Voraussetzungen auch eigenständig tun. Wissen werde dann effektiv konstruiert, wenn der Schüler aktiv bei der Auswahl der Methoden und Inhalte mitwirken könne. Denn nur er selbst wisse, welcher Inhalt für ihn die größte Gegenwartsbedeutung habe.
Seitens der Schüler stellt Unterricht im Sinne Freinets daher idealerweise eine selbst zu gestaltende Persönlichkeitsentwicklung dar. Die Aufgabe des Lehrers darin ist es ausschließlich, eine fördernde Umgebung einzurichten, in der die Kinder nach ihren Interessen arbeiten können. Elementar ist auch der Lebensweltbezug: Wenn er fehlt, entsteht Desinteresse, ein Problem, von dem viele Pädagogen ein Lied singen können. Freiarbeit bedeutet also keine beliebige Freiheit, sondern die sinnvolle Abarbeitung lebensweltlicher Themen.
Die Lehrkraft ist verantwortlich dafür, geeignetes Material bereitzustellen und Aufgaben zu konzipieren, die es erlauben, an vorhandenes Wissen und bestehende Fähigkeiten anzuknüpfen. Während der Freiarbeit entdecken die Schüler eigenständig, welche Informationen oder Lernstoffe ihnen zur Bewältigung ihrer Aufgabe möglicherweise fehlen und kümmern sich um diese. Bei der Freiarbeit handelt es sich daher um eine Form pendelnden oder kreisenden Lernens.
Empfehlungen für gutes Material
- abwechslungsreich und optisch ansprechend
- Anreiz- und Spielcharakter
- motivierende Aufgabenstellungen
- strukturiert
- Vermeidung von Überangebot
- mehrfache Einsatz- und verschiedene Lösungsmöglichkeiten
- klar erkennbare Methode, Darstellungs- und Sozialform bei der Bearbeitung
- Anregung zur Kooperation
- Schwierigkeitsgrad für alle einsichtig und zu bewältigen
- Möglichkeit der Selbstkontrolle
- für jeden zugänglich
- geeigneter und fester Platz im Raum
Formen
Materialzentrierte Freiarbeit
Differenzierte Freiarbeit
Radikale Freiarbeit
Themenarbeit
Umsetzung
Freiarbeit ist grundsätzlich für alle Jahrgangsstufen geeignet.
Möchte man die Methode Freiarbeit nutzen, sollte ihre Einführung langsam und schrittweise erfolgen.
Ein gelungener Einsatz liegt dabei größtenteils in den Händen des Lehrenden. Er wird zum Begleiter und Berater in einem Prozess der Persönlichkeitsentwicklung seiner Schüler. Die Schüler müssen bereit sein, ihre eher passive Rolle gegen eine aktive, eigenverantwortliche einzutauschen.
Treffen diese Bedingungen zu, kann es daran gehen, die Methode im Unterricht umzusetzen:
- In einem kürzeren Zeitraum geschieht zunächst eine Heranführung, dieser Zeitraum wird nach und nach verlängert. Schon in dieser Pilotphase etabliert der Lehrende Ordnungsregeln und Rituale.
- Schließlich bekommt die Freiarbeit einen festen Platz im Stundenplan und findet jeden Tag zu einer wiederkehrenden Zeit statt.
- Für eine Reflektion ist es im Anschluss an die Freiarbeit ratsam, einen Gesprächs- oder Sitzkreis einzuberufen. Dazu eignen sich insbesondere der Anfang und das Ende der Woche.
Tipps für die Praxis
Gestaltung des Klassenzimmers
Es sollte ein Lernort sein und zugleich eine anregende, gemütliche Arbeitsatmosphäre ermöglichen. Dazu ist es wichtig, es nicht (nur) schultypisch zu möblieren, sondern auch zu dekorieren, die Sitzordnung aufzulockern, in verschiedene Zonen zu gliedern und von Zeit zu Zeit umzugestalten. Das Material sollte gut erreichbar und übersichtlich angeordnet sein.
Mögliche Arbeitstechniken
- Schuldruckerei
- Computerarbeit
- Korrespondenz
- Arbeitsbibliothek
- Karteikästen
- Entwicklung gemeinsamer Arbeits-/Wochenpläne
Dokumentation
Mit einer Dokumentation verfolgt einerseits der Lehrer den Entwicklungsstand des Schülers, gleichzeitig dient sie dem Schüler als individuelle Orientierungshilfe für seine nächsten Lernschritte.
Formen der Dokumentation:
- Persönliche Liste mit Einträgen des Geleisteten, Abstemplung durch den Lehrer
- Aufgabenliste im Klassenzimmer, in die jeder seinen Namen nach der Bearbeitung des Materials im entsprechenden Feld einträgt
- Persönlicher Ordner/Heft, in den/das die fertigen Aufgaben einsortiert werden
- Aufgabenkasten
- Gespräch oder Gesprächskreis
- Präsentation der Arbeiten
- Test (Pädagogischer Nutzen muss klar sein. Denn die Freiarbeit ist weniger eine Arbeit für Tests von außen als vielmehr für ein selbstständiges Testen durch den Schüler)
Beispiele aus der Praxis
Eine Möglichkeit, Freiarbeit nach der Primarstufe einzubinden, sind sogenannte COOL-Stunden. Auch die Jeetzeschule in Salzwedel wendet die Methode als weiterführende Schule an.
Vor- und Nachteile
Vorteile
Kompetenzen: Die Schüler erlangen vielfältige Fähig- und Fertigkeiten, darunter:
- Selbstständigkeit: Die Schüler sind allein für ihren Lernprozess verantwortlich. Sie treffen Entscheidungen und kontrollieren ihre Arbeit selbsttätig.
- Zeitmanagement: Da die Schüler in ihrem eigenen Tempo arbeiten, lernen sie, ihre Zeit optimal zu nutzen und einzuteilen.
- Selbsteinschätzung: Die Schüler lernen, ihre Fähigkeiten einzuschätzen und erfahren ihre eigenen Grenzen.
- Sozialkompetenz: Freiheit bei der Sozialform fördert die zwischenmenschliche Interaktion. Die Schüler lernen, rücksichtsvoll mit anderen zusammenzuarbeiten und die Konsequenzen ihres Handelns zu reflektieren.
Individualisierung: Die Schüler finden eigene Lernwege und gestalten ihre persönliche Lernbiografie (mit). Durch die hohe organisatorische Freiheit entwickeln sie ihren eigenen Lernstil und -rhythmus. Jeder Schüler wählt aus dem Material-Pool das, was seinem Leistungsstand entspricht.
Selbstbewusstsein: Durch die hohe Eigeninitiative stellt sich bei starken wie schwächeren Schülern ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und des Erfolgs ein.
Weniger Druck: Da Kontrolle und Korrektur der Aufgaben in der Regel durch die (Mit)Schüler erfolgen, entfällt direkter Leistungsdruck durch den Lehrer.
Engagement: Die freie Zeiteinteilung, die Möglichkeit, persönlichen Interessen nachzugehen, und der geringe Druck erhöhen bei den Lernern die Leistungsbereitschaft.
Gute Lernatmosphäre: Die Schüler haben insgesamt mehr Freude am und beim Lernen.
Hoher Lerneffekt: Da sich die Schüler intensiver mit den Aufgaben auseinandersetzen als im Frontalunterricht, fällt das Lernen nachhaltiger aus.
Nachteile
Aufwand: Die Vorbereitung und Durchführung von Freiarbeit gestaltet sich für den Lehrer arbeitsintensiv und zeitaufwändig.
Schwierigkeiten bei der Umsetzung: Wenn die pädagogische Seite ohne die notwendige Vorbereitung versucht, Strukturen der Freiarbeit in die Schule als hierarchisch und bürokratisch gegliedertes System einzubinden, kann es zu Kontraindikationen kommen.
Mangel an Eigeninitiative: Die Fülle an Möglichkeiten ruft bei manchen Schülern (zunächst) einen Widerstand hervor. Sie arbeiten in den Freiarbeitsstunden unkonzentriert oder gar nicht.
Fazit: Inklusives Potential
Weiterführende Links
Methodenpool der Universität zu Köln
Ausführliche Beschreibung der Freiarbeit im Methodenpool der Universität zu Köln.
ZUM-Wiki
Kompakte Informationen über Freiarbeit auf der Offenen Plattform für Lehrinhalte und Lernprozesse mit Beispielen für Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen, Natur- und Gesellschafswissenschaften, Geographie, Kunst und Musik