Umsetzung der UN-Behinderten rechtskonvention
In der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) haben sich bislang 186 Staaten gegenseitig verpflichtet, die darin festgeschriebenen Menschenrechte in ihrem Land zu verwirklichen.
Alle vier Jahre müssen die Vertragsstaaten vor dem zuständigen UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung in einem so genannten Staatenberichtsverfahren Rechenschaft darüber ablegen, wie sie mit der Umsetzung der Konvention vorankommen. Am Ende eines solchen Prüfverfahrens formuliert der Ausschuss „Abschließende Bemerkungen“ (Concluding Observations), in denen er festhält, welche Fortschritte das jeweilige Land gemacht hat und wo er Handlungsbedarf sieht. Inzwischen ist es gelebte Praxis, zwei Staatenberichtsverfahren zusammenzuziehen, so dass Staaten im Durchschnitt alle acht Jahre ein solches durchlaufen.
Wie bewertete die UN bislang Deutschlands Bemühungen bei der Umsetzung der UN-BRK?
Deutschland erhielt, wie einige andere Länder auch, bislang zwei Dokumente mit Abschließenden Bemerkungen nach einer Staatenprüfung: Erstmals 2015 und zum zweiten Mal am Ende des zusammengezogenen 2. und 3. Prüfverfahrens im September 2023. Beide Male gab es Lob, aber auch sehr deutliche Kritik vom UN-Ausschuss sowie Empfehlungen und Forderungen, wie die UN-BRK in Deutschland besser umgesetzt werden soll.
Gelobt hatte der Ausschuss bei der letzten Prüfung verschiedene gesetzliche Neuregelungen, die in Deutschland in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht worden sind. Beispielsweise die Reform des Betreuungsrechts, das sich jetzt deutlicher am Willen der unterstützten Person orientiert. Oder das Bundesteilhabegesetz, wodurch Leistungen für Menschen mit Behinderungen nun personenzentriert und nach den Wünschen der Menschen angeboten werden sollen. Auch die Aufhebung des bis 2019 geltenden Wahlrechtsausschlusses für bestimmte Gruppen von Menschen mit Behinderung zählt zu diesen Fortschritten.
Doch speziell bei den Artikeln der Konvention, in denen es um den Abbau von Sonderstrukturen und Diskriminierung geht, hagelte es bei der zweiten Prüfung deutliche Kritik. Nachdem der UN-Ausschuss bereits in seinen Abschließenden Bemerkungen zur ersten Staatenprüfung 2015 Deutschlands Fortschritte in diesen Bereichen als unzureichend bemängelt hatte, forderte er Deutschland diesmal nachdrücklich auf, Sondereinrichtungen wie Förderschulen, Werkstätten oder auch große Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen abzubauen. Außerdem wird Deutschland dafür kritisiert, dass das alltägliche Leben vieler Menschen mit Behinderung durch einen eklatanten Mangel an Barrierefreiheit geprägt ist, etwa beim Zugang zu Kultur- und Freizeitangeboten oder auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Auch der Aufbau eines inklusiven Gesundheitssystems wird angemahnt. So deutliche Kritik wirft die Frage auf: Machen andere Staaten es besser?
Präsentation mit den Kerninhalten der Studie
In einer 26-seitigen Präsentation hat Fiona MacDonald die wichtigsten Informationen zum Aufbau und zu den Ergebnissen ihrer Studie zusammengefasst. Sie können sich die Präsentation hier als PDF ansehen und herunterladen.
Studie "Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention"
Die knapp 40 Seiten umfassende Studie von Januar 2024 untersucht, ob anhand von Bewertungen der UN die Fortschritte von Vertragsstaaten bei der Umsetzung der UN-BRK miteinander verglichen werden können. Sie können sich die Forschungsarbeit hier als barrierefreies PDF kostenfrei herunterladen, entweder in der deutschen Übersetzung oder in der englischen Originalfassung.
Lassen sich die Bewertungen für verschiedene Länder vergleichen?
Im Auftrag der Aktion Mensch hat die englische Rechtswissenschaftlerin Fiona MacDonald von der britischen Open University untersucht, ob die Beurteilung der Vertragsstaaten in Hinblick auf die Umsetzung der UN-BRK miteinander vergleichbar sind. Ihr Ergebnis lautet: Ja, durchaus.
Für ihre Studie hat MacDonald 29 Abschließende Bemerkungen untersucht, die der UN-Ausschuss an 16 Staaten formuliert hat (siehe Info-Kasten zu den verglichenen Staaten). Mit Hilfe einer von ihr entwickelten Methode der qualitativen Textanalyse hat sie die Häufigkeit und den Schweregrad der vom Ausschuss geäußerten Sorgen und Bedenken quantifiziert und in Noten von A (sehr gut) bis H (sehr schlecht) übersetzt. Je schlechter die Note, desto höher die Anzahl der damit verbundenen Negativpunkte; von A = 0 bis H = 8 Negativpunkte.
Ergebnisse der Studie
Auf den ersten Blick fällt auf: Keiner der untersuchten Staaten steht gut da bei der Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Der Ausschuss äußerte in seinen Abschließenden Bemerkungen schwere Bedenken gegenüber jedem Vertragsstaat. Entsprechend liegen die Gesamtergebnisse der Staaten nicht weit auseinander.
Schaut man sich aber einzelne Artikel der Konvention genauer an, dann werden doch deutliche Unterschiede erkennbar, die zeigen, in welchen Bereichen einzelne Mitgliedsstaaten den größten Handlungsbedarf haben – auch im Vergleich zu anderen Ländern.
Diese Ergebnisse stellen zunächst eine Tendenz dar. Belastbarere Aussagen würde die Untersuchung einer größeren Anzahl von Abschließenden Bemerkungen liefern, sagt die Autorin der Studie, Fiona MacDonald. Dabei wäre dann auch zu prüfen, welche Faktoren mit in die Bewertung durch den UN-Ausschuss hineinspielen und sie beeinflussen. Ist beispielsweise die Qualität der Staatenberichte einheitlich? Fallen Abschließende Bemerkungen kritischer aus, wenn eine engagierte und gut organisierte Zivilgesellschaft des geprüften Staates einen eigenen Parallelbericht vorlegt, der auf Versäumnisse bei der Umsetzung der UN-BRK hinweist?
Über alle untersuchten Abschließenden Bemerkungen hinweg äußerte der UN-Ausschuss auffallend häufig Bedenken im Zusammenhang mit den Themen „intersektionale Diskriminierung“, also dem Zusammenspiel verschiedener Diskriminierungsmerkmale, und „Institutionalisierung“, also dem Festhalten an Sonder- und Parallelstrukturen in den Bereichen Wohnen, Bildung und Arbeit. Das deutet darauf hin, dass es sich bei diesen Themen um Kernprobleme handelt, deren Beseitigung für die Umsetzung der UN-BRK von entscheidender Bedeutung ist. Wenn es den Vertragsstaaten gelänge, in diesen Punkten deutliche Fortschritte zu erzielen, würden sich die Situation ihrer Bürger*innen mit Behinderung deutlich verbessern, so das Fazit von Fiona MacDonald.
Die UN-BRK setzt klare Normen
Dank ihrer konkreten Vorgaben stellt die UN-BRK eine deutliche Richtschnur dar. In ihren 26 inhaltlichen Artikeln ist beschrieben, welche Voraussetzungen die Unterzeichnerstaaten erfüllen müssen, um den allgemeinen Menschenrechten in ihrem Land auch für Menschen mit Behinderung Rechnung zu tragen. Nach und nach veröffentlicht der UN-Ausschuss ergänzende Kommentare zu den einzelnen Artikeln der Konvention, in denen er die Bestimmungen zusätzlich erläutert. So soll sichergestellt sein, dass alle Vertragsstaaten dasselbe Verständnis davon haben, wozu sie verpflichtet sind.
Die Autorin der Studie
Dr. Fiona MacDonald ist Volljuristin und Dozentin für Rechtswissenschaften an der Open University im Vereinigten Königreich. In ihrer Doktorarbeit befasste sie sich mit internationalen Kinderrechten und einem Vergleich der Abschließenden Bemerkungen aus den Staatenberichtsprüfungen der UN-Kinderrechtskonvention.