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Eine Frau im Rollstuhl in einem Büro-Loft
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Frauen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt

Teilhabe am Berufsleben für Frauen mit Behinderung besonders schwer 

Frauen mit Schwerbehinderung sind auf dem Arbeitsmarkt gleich doppelt benachteiligt: Als Frauen und als Menschen mit Behinderung. Sie werden schlechter bezahlt, erhalten selten Vollzeit- und Führungspositionen und sind durch Haushalts- und Familienaufgaben besonders belastet. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie, die die Aktion Mensch in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut SINUS veröffentlicht hat. Grundlage der Erhebung ist ein erstmaliger systematischer Vergleich der Erwerbssituation von Frauen mit und ohne Schwerbehinderung sowie den entsprechenden männlichen Bevölkerungsgruppen.

Gender und Behinderung haben einen wesentlichen Einfluss auf die Chancen am Arbeitsmarkt in Deutschland. „Für viele Frauen mit Behinderung äußert sich die derzeitige Situation als ein Kampf um das berufliche Überleben – um sich im Arbeitsleben zu behaupten, müssen sie einer gleich zweifachen strukturellen Benachteiligung entgegentreten“, erklärt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch.

Studie zur Frauen mit Schwerbehinderung auf dem Arbeitsmarkt

Titelseite der Studie über behinderte Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Die Studie arbeitet erstmals einen systematischen Vergleich von Frauen mit und ohne Schwerbehinderung im Verhältnis zu Männern mit und ohne Schwerbehinderung auf. Somit werden genderbezogene Unterschiede mit Unterschieden zwischen Menschen mit und ohne Behinderung hinsichtlich ihres Erwerbslebens miteinander verschränkt.

Stand: 2021


Großes Lohngefälle zwischen Frauen und Männern mit Behinderung

Der Studie zufolge erhalten Frauen mit Behinderung für ihre berufliche Tätigkeit im Gruppenvergleich die niedrigste Entlohnung – auch in der Einkommenskategorie unter 1.000 Euro netto sind sie mit fast einem Drittel am häufigsten vertreten. Dabei zeigt sich auch unter den Arbeitnehmer*innen mit Behinderung ein eindeutiges geschlechtsspezifisches Lohngefälle: Im Durchschnitt verdienen weibliche Erwerbstätige mit Behinderung 667 Euro netto weniger pro Monat als ihre männlichen Pendants.

Zudem fühlen sich Frauen mit Behinderung so sehr wie keine andere Gruppe von Aufstieg, Führung und freier beruflicher Gestaltung ausgeschlossen. Gerade einmal jede Zehnte – der niedrigste Wert im Gruppenvergleich – arbeitet in einer leitenden Position. Und das obwohl sie stärker motiviert sind, in ihrer Karriere voranzukommen, als Männer mit Behinderung und ähnlich stark wie Frauen und Männer ohne Behinderung.

Im Vergleich zu Männern arbeiten Frauen der Studie nach deutlich häufiger in Teilzeit. Dies gilt besonders für Frauen mit Behinderung: 37 Prozent haben ein Teilzeitstelle – die höchste Zahl unter allen befragten Gruppen. Auch sind die weiblichen Erwerbstätigen mit Behinderung in Partnerschaften stärker durch Haushalts- und Familienaufgaben belastet als ihr männliches Äquivalent. Rund ein Drittel ist mit der Aufgabenteilung nicht zufrieden und beklagt mangelnde Unterstützung.

Benachteiligung beim Berufseinstieg und Angst vor Arbeitsplatzverlust

In Bewerbungsprozessen hat sich etwa die Hälfte aller Frauen mit Behinderung in der Vergangenheit bereits diskriminiert gefühlt und glaubt, aufgrund ihrer Behinderung auch seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen zu werden. Die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen mit Behinderung schließlich beklagt eine hohe persönliche Stressbelastung – hervorgerufen etwa durch den zunehmenden Konkurrenz- und Leistungsdruck und die Angst, den errungenen Arbeitsplatz wieder zu verlieren.

„Für eine chancengerechte Teilhabe am Erwerbsleben ist zwingend ein Kultur- und Bewusstseinswandel erforderlich – wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der die individuellen Stärken und Qualifikationen von Bewerber*innen sieht und sich Inklusion und Gendergerechtigkeit zur Maxime macht”, resümiert Christina Marx.

TV-Talk zur allgemeinen Situation von Frauen mit Behinderung in unserer Gesellschaft

Eine Ausgabe des Talk-Formats "SoVD.TV" befasst sich anlässlich des Welt­frauentages 2023 ausführlich mit der Situation von Frauen mit Behinderung in unserer Gesellschaft. Wie kann es gelingen, Politik und Öffentlichkeit für die besonderen Belange von Frauen mit Behinderung zu sensibilisieren und ihre Lage zu verbessern? Diese Frage diskutieren:
• die Europaabgeordnete Katrin Langensiepen (Die Grünen), 
Dr. Monika Rosenbaum vom Netzwerkbüro NRW für Frauen und Mädchen mit Behinderung 
• sowie Dagmar Greskamp, Expertin für Inklusion und Arbeit der Aktion Mensch. 

Drei Fragen zur aktuellen Situation an Christina Marx 


Frauen mit Behinderung sind auf dem Arbeitsmarkt mehrfach benachteiligt. Im Vergleich zu Frauen ohne Behinderung sowie Männern mit und ohne Behinderung bilden sie das Schlusslicht bei Gehalt, Vollzeit- und Führungspositionen. Dabei zeigt sich, dass Frauen mit einer angeborenen Behinderung sogar noch schlechtere Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt haben als diejenigen, die ihre Behinderung erst im Laufe des Lebens erwerben. Wer ohne eine Behinderung groß wurde und erst später im Berufsleben eine Behinderung erwarb, profitiert häufig bereits von einem höheren Ansehen und Selbstbewusstsein im Job. Dagegen befinden sich viele Frauen mit angeborener Behinderung vom Schulalter an in einer Spirale der Benachteiligung und haben es beispielsweise deutlich schwerer, ein formal hohes Bildungsniveau zu erlangen. Dies zeigt einmal mehr, wie entscheidend Inklusion von Anfang an ist.

Ein zentraler Aspekt, den unsere Studie adressiert, ist der zunehmende Leistungs- und Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt. So glauben mehr als zwei Drittel der befragten Frauen mit Behinderung, dass Arbeitgeber*innen ihnen aufgrund ihrer Behinderung eine geringere Leistungsfähigkeit zuschreiben. Dabei wissen wir aus der Praxis, dass dies vielmehr Vorurteil denn Fakt ist: Vier von fünf von uns befragte Organisationen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, geben an, dass sie keine Leistungsunterschiede feststellen. Dass sich aber viele Frauen mit Behinderung unter Zugzwang fühlen, ständig beweisen zu müssen, dass sie ihre Tätigkeit genauso gut erfüllen können wie vergleichbar qualifizierte Menschen ohne Behinderung, führt zu einer enormen Stressbelastung.
Insbesondere in der freien Wirtschaft ist zwingend ein Kultur- und Bewusstseinswandel erforderlich, der die individuellen Stärken und Qualifikationen von Bewerber*innen in den Fokus rückt. Dazu gehört, dass Arbeitgeber*innen Rahmenbedingungen schaffen, die Menschen dabei unterstützen, von Anfang an offen mit ihrer Lebenssituation, ihren Bedürfnissen – und auch mit ihrer Behinderung – umzugehen. Eine Unternehmenskultur der Vielfalt fängt dabei schon beim Außenauftritt an: Wird bereits in Stellenausschreibungen auf gelebte Diversität, flexible Arbeitsmodelle und Unterstützungsmöglichkeiten hingewiesen, sind die Hemmschwellen laut Studie für Menschen mit Behinderung sehr viel niedriger, sich auch tatsächlich zu bewerben. Wenn Vielfalt schließlich zur Normalität wird, dann ist Inklusion Realität.
Christina Marx
Christina Marx, Leiterin des Bereichs Aufklärung bei der Aktion Mensch.

Ein Beispiel aus der Berufspraxis

Mit Patin zurück ins Arbeitsleben

Für viele Menschen mit Behinderung ist die Suche nach einem (neuen) Job schwieriger als für Menschen ohne Behinderung. Eine Hilfe auf Augenhöhe bieten die Pat*innen der „Jobbrücke InklusionPLUS“ in Berlin. Sie hören zu, machen Mut, geben Tipps und packen mit an.

Lisa Albrecht ist 29 Jahre alt und hat den Bachelor in Psychologie abgeschlossen. Nach dem Studium hat sie in einer Einrichtung für Suchtkranke gearbeitet. Daher plante sie, ihr Masterstudium in Teilzeit zu absolvieren und weiter für ihre Klient*innen da zu sein. Doch es kam anders: Durch eine Erkrankung war sie plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihr Arbeitsplatz war nicht barrierefrei. Sie fragte nach einer gleichwertigen Alternative, aber – so der Chef – die gab es nicht.

Die Suche nach einem neuen Job war schwierig, und Lisa Albrecht schwand so langsam der Optimismus, der ihr sonst so selbstverständlich ist: „Ich bin jetzt seit zwei Jahren Rollstuhl-Benutzerin. Aber ich denke nicht über mich, dass ich Rollstuhl-Benutzerin bin. Ich bin immer noch Lisa, so wie vorher.“ Sie meldete sich bei der Jobbrücke InklusionPLUS, und auch  Projektkoordinatorin Lina Antje Gühne war sicher: „Mit ihrer Kompetenz hat sie in einem viertel Jahr einen Job. Der Markt im sozialen Bereich ist ja eigentlich sehr offen.“ Maria Schulz, die als Job-Patin gefunden wurde, meinte: „Wir waren optimistisch, weil Lisa Albrecht ein sehr positiver, super qualifizierter und motivierter Mensch ist.“ Die beiden Frauen trafen sich vier Monate lang je einmal pro Woche. Online natürlich, denn Corona machte die persönlichen Treffen unmöglich.
Frau lehnt lässig an einem Laternenpfahl und hat die Arme vor der Brust verschränkt
Lina Antje Gühne, Projekt-Koordinatorin von Jobbrücke InklusionPLUS

Job-Patin Martina Schulz und Lisa Albrecht berichten im Video von ihren Erfahrungen

Erfahrungen teilen – Mut machen

So geht es im Moment vielen Tandems bei der Jobbrücke InklusionPLUS: 33 Klient*innen sind zurzeit im Projekt, jede*r mit einem Job-Paten an der Seite. Das sind Menschen, die selbst viel Erfahrung in verschiedenen Berufstätigkeiten mitbringen. Diese Erfahrung bringen sie ehrenamtlich ein, um anderen zu helfen und so für mehr Gerechtigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu sorgen. Es melden sich viele, so Projekt-Koordinatorin Gühne.

Zusätzlich zur Vermittlung der Pat*innen bietet die Jobbrücke InklusionPLUS Informations-Seminare zum Thema Bewerbung und Arbeitsmarkt, aber auch eine Peer-to-Peer-Beratung an. Da berichten Menschen mit Behinderung, die es auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft haben, von ihren Erfahrungen und machen anderen Mut. Gerade mit psychischen Erkrankungen, so Lina Antje Gühne, sei es für die Leute oft schwer, genügend Selbstvertrauen für die Jobsuche zu sammeln. Das betrifft mittlerweile fast die Hälfte der Klient*innen.

Offenheit der Arbeitgeber*innen fehlt oft 

Und wie ging es für Lisa Albrecht weiter? Nach vier Monaten und gut 30 Bewerbungen gab es nur Ablehnungen. Viele Arbeitsplätze in der sozialen Arbeit seien nicht barrierefrei, heißt es von den Arbeitgebern. Das Angebot der Frauen von Jobbrücke Inklusion PLUS, dass sie Beratung und finanzielle Unterstützung vermitteln könnten, nahm keiner an. Bevor der Frust überwältigend wurde, hat Lisa Albrecht zusammen mit ihrer Patin Maria Schulz einen neuen Plan gefasst: Sie wird nun ihren Psychologie-Master in einem Vollzeit-Studium absolvieren. „Als anerkannte Psychologin kann ich auch im klinischen statt nur im sozialen Bereich arbeiten. Da sollte es hoffentlich möglich sein, einen rollstuhl-gerechten Arbeitsplatz zu bekommen.“ Maria Schulz findet diese Entscheidung gut. Auf sie wartet inzwischen schon eine neue Tandem-Partnerin, diesmal eine Frau mit Flucht-Erfahrung. Dennoch, und auch da sind sich Albrecht und Schulz einig: Ein persönliches Treffen zum Eis-Essen steht auf jeden Fall noch an. Sobald Corona das zulässt.

Weitere spannende Links

Aktion Mensch Podcast "All Inclusive"
In der am 18. März veröffentlichten Folge unseres Podcasts "All Inclusive" ist ist die Soziologin Jutta Allmendinger zu Gast. Im Gespräch mit ihr geht es um die Situation von Frauen mit Behinderung im Arbeitsleben und darüber hinaus.

Zum Podcast

 

The Shift Initiative - Die Diversity Initiative der Handelsblatt Media Group
Unter anderem mit einem Interview mit Dagmar Greskamp, Aktion Mensch, über das strukturelle Problem von Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Jetzt lesen

Kontakt

Dagmar Greskamp

Telefon: 0228 20 92 311

Fax: 0228 20 92 333

dagmar.greskamp@aktion-mensch.de

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