Das wir gewinnt
In einem Supermarkt-Gang zwischen zwei regalreihen sitzen zwei Männer. Links ein Mann in schwarzer Hose und Pulli im Rollstuhl mit Brille und mit Bart, rechts neben ihm ein Mann mit kurzen dunklen Haaren in blauem Anzug und weißem Hemd auf einem Tritthocker. Beide gucken in eine Liste.

Rewe-Filialen in Düsseldorf gewinnen Inklusionspreis

David Hegemann betreibt fünf REWE-Märkte in und um Düsseldorf. Seit 2018 sucht er gezielt auch Mitarbeitende mit Behinderung. Zehn hat er schon eingestellt. Sein Ziel ist es, diese Zahl zu verdoppeln.
Drei Kandidat*innen. Wer es schafft, innerhalb von einer Minute die meisten Lebensmittel in den eigenen Einkaufswagen zu packen, bekommt den kompletten Inhalt geschenkt. Das ist eine der zahlreichen Ideen, die der Unternehmer David Hegemann auf seinem Instagram- und Facebook-Kanal umsetzt. Solche Aktionen machen ihm großen Spaß und bringen ihm einiges an Aufmerksamkeit. Hegemann nutzt Social-Media auch, um seinen etwa 60.000 Followern zu zeigen, dass ihm Inklusion wichtig ist. Beispielsweise indem er in zwei seiner Märkte eine Stille Stunde ankündigt für Kund*innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, mit psychischen Einschränkungen und für alle, die es einfach mögen. Auf seinen Kanälen finden sich außerdem Beiträge darüber, wie Hegemann gezielt Menschen mit Behinderung als Mitarbeiter*innen einstellt. In drei seiner Märkte hat er mittlerweile sogenannte Inklusions-Abteilungen gegründet. Dazu später mehr. 2018 hat David Hegemann seinen ersten REWE-Markt eröffnet, mittlerweile betreibt er fünf davon. Zehn der 170 Mitarbeitenden haben eine Schwerbehinderung. Bald sollen es 20 sein.

Ausbildung mit Behinderung – es geht mehr als man denkt

Einer der zehn ist der 20-jährige Achilleas Tsantekidis. Er sitzt im Rollstuhl und hat im August dieses Jahres seine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel angefangen. Er räumt Regale ein, sortiert das Obst aus und füllt nach, aber am liebsten sitzt er an der Kasse. Ein Jahr zuvor, als er auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz war, wäre er nicht auf die Idee gekommen, dass er einmal in einem Supermarkt arbeiten würde. Als er auf Empfehlung seiner Lehrer dann das Praktikum anfing, war aber schon nach einer Woche klar: Das ist es, was er will!
Genau so ging es seinem jetzigen Chef. Das Praktikum von Achilleas Tsantekidis war eigentlich auf sechs Wochen angelegt. Aber schon nach wenigen Tagen bot David Hegemann ihm eine feste Stelle an. Und sagt jetzt: „Er macht seine Sache super!“ Der Azubi ist glücklich: „Das ist ein gutes Gefühl, wenn der Chef zufrieden ist. So habe ich einen sicheren Arbeitsplatz und fühle mich hier im Team sehr wohl.“ 
 
Ein junger Mann mit Brille, dunklen kurzen Haaren und Vollbart in schwarzem Pullt sitzt an einem Tisch und lächelt in die Kamera.

Achilleas Tsantekidis: Wenn man etwas will, muss man auch durchziehen

„Als ich nach dem Realschulabschluss auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz war, habe ich häufig gehört, ich solle doch ins Büro gehen. Darauf hatte ich aber keine Lust, da nur herumzusitzen und zu tippen. Ich brauche Freiraum und Bewegung. 
Hier im Supermarkt habe ich mich sofort wohl gefühlt. Das Team ist total nett, die Stimmung sehr gut. Am Anfang wollten mir die Kollegen bei allem helfen. Denen musste ich erst mal zeigen, was ich kann. Mittlerweile fragen sie vorher und es läuft alles entspannt. 
Mir gefällt der Kontakt mit den Kundinnen und Kunden. Manche sind jeden Tag da, da kennt man sich. Oft helfe ich, das richtige Produkt zu finden. Manchmal unterhalten wir uns aber auch einfach nur so.
Für meine Zukunft wünsche ich mir, dass ich selbst mal einen Markt leite. Darauf arbeite ich hin. Denn wenn man etwas will, muss man auch durchziehen.“

Ein junger Mann mit kurzen dunklen Haaren in blauem Anzug und weißem Hemd steht vor dem Supermarkt, den er managt und strahlt in die Kamera.

David Hegemann: Ausschließlich positive Erfahrungen

„Fachkräftemangel kenne ich nicht. Durch meine Aktionen in den Sozialen Medien nehmen uns die Menschen als nahbar und sympathisch wahr. Entsprechend bekomme ich viele Initiativ-Bewerbungen. Die Fluktuationsrate in meinen Teams liegt bei nur zehn Prozent. 
Die Inklusions-Abteilungen bieten für uns eine feste Struktur, um Vielfalt im Unternehmen zu verankern. Es gibt finanzielle Förderungen von der Agentur für Arbeit und – je nach Bedarf – Begleitung durch andere Institutionen. Den Mitarbeitenden gibt das Sicherheit, und für mich ist es die Gewährleistung, dass wir wirtschaftlich arbeiten können. Das Konzept habe ich zusammen mit Roderich Dörner erarbeitet. Er hat mich auf meinem Weg zum inklusiv denkenden Unternehmer sehr unterstützt. 
Ich hoffe, dass sich weitere Menschen mit Behinderung bei mir bewerben. Mit dem Einstieg über Praktika können wir gut feststellen, wer wo am besten arbeiten kann. Dabei machen wir ausschließlich positive Erfahrungen. Natürlich beziehe ich mein Team in die Entscheidungen mit ein. Auch anderen Unternehmer*innen kann ich nur raten: Legen Sie einfach los, dann verschwinden eventuelle Vorbehalte von selbst.“

Jede*r hat eine Chance verdient

Inklusion spielte für David Hegemann schon von Anfang an eine große Rolle. Er findet, jede*r hat eine Chance verdient. Und er macht die Erfahrung, dass die Menschen dankbar, zuverlässig und äußerst motiviert sind. Der Einstieg verläuft immer über ein Praktikum oder eine Probearbeit. In dieser Phase wird klar, wo die Stärken und Schwächen der Bewerber*innen liegen. Wenn man das berücksichtigt, kann jede und jeder optimal eingesetzt werden. Denn, das ist für Hegemann klar: Es geht nicht nur um den sozialen Aspekt; die Läden müssen auch wirtschaftlich laufen. Dass sie das tun, führt der Chef auch darauf zurück, dass der Leistungsdruck im Team nicht so groß ist wie woanders. Dafür wird das Miteinander groß geschrieben. Das ist spürbar und spricht sich herum. Die Teams fühlen sich wohl, die Kund*innen loben das Engagement, kommen gerne zum Einkauf und Hegemann freut sich über viele Initiativbewerbungen. Fachkräftemangel kennt er nicht.
Die positiven Erfahrungen trägt er weiter: So sind seine Märkte mittlerweile ein Vorbild für die 600 Filialen von REWE West. Gemeinsam mit Roderich Dörner, HR-Partner Inklusion motiviert er Kaufleute und Marktleiter*innen, Mitarbeitende mir einer Behinderung einzustellen und Inklusionsabteilungen aufzubauen. Mittlerweile sind knapp 30 Märkte der Region beteiligt, weitere bereits in Planung. Auf Stadtebene ist Hegemann Mitglied beim Runden Tisch Inklusion. Und zuletzt bekam er den Inklusionspreis der deutschen Wirtschaft in der Kategorie „mittelständische Unternehmen“.

Förderung für Inklusions-Abteilungen

In seinen Betrieben hat er die Struktur der Inklusions-Abteilungen eingeführt. Diese Abteilungen bestehen aus den Kolleg*innen, die Regale einräumen und an der Kasse sitzen. Jede*r Dritte von ihnen hat eine Schwerbehinderung. Die Abteilungen funktionieren wie ein kleiner inklusiver Betrieb im Betrieb. Für sie bekommt Hegemann finanzielle Förderung und passgenaue Unterstützung. Bei Achilleas Tsantekidis ist das ein Fahrdienst, eine Lohnunterstützung, pädagogische Unterstützung und eine Arbeitsassistenz für einige Stunden. 
Für Tsantekidis ist klar: Eines Tages möchte er selbst einen oder mehrere REWE-Märkte leiten. Der Chef hingegen vermisst gelegentlich den Kontakt zur Basis und zu den Kund*innen. Sie schauen sich an – und haben die gleiche Idee. Ganz bald tauschen sie mal die Jobs, zumindest für einen Tag. Und auch darüber werden sie ein Video für Instagram drehen.

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