Das wir gewinnt

„Wir brauchen analoge und digitale Barrierefreiheit“

Angelika Glöckner, teilhabepolitische Sprecherin der SPD, erklärt, wie sich ihre Partei in der kommenden Legislaturperiode für mehr Inklusion und Teilhabe einsetzen möchte. Für sie stehen analoge und digitale Barrierefreiheit besonders im Fokus.
Eine Frau mit einem dunkeln kurz Haarschnitt steht seitlich und schaut in die Kamera. Sie trägt einen dunklen Balzer und ein weißes Oberteil.

Angelika Glöckner, behindertenpolitische Sprecherin der SPD.

Über

Angelika Glöckner, geboren 1962, ist seit 2014 Mitglied des Deutschen Bundestags. Dort ist sie sowohl im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union als auch im Ausschuss für Arbeit und Soziales tätig. Für die Stadt Pirmasens sitzt Glöckner als Vorsitzende im SPD-Stadtverband. 
Meine Vision ist ein selbstverständliches Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung, was sowohl analoge als auch digitale Barrierefreiheit voraussetzt. Zur Teilhabe gehört für die SPD auch die Mitentscheidung, Mitgestaltung und Mitverantwortung. Deshalb wollen wir die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben stärken. Außerdem sollen mehr Menschen mit Behinderung in den Parlamenten vertreten sein. Denn das neue Wahlrecht enthält neben dem Recht zu wählen auch das Recht gewählt zu werden. Langfristig will die SPD inklusionsfreie Räume soweit wie möglich reduzieren. Das gilt vor allem für die Bereiche Arbeit, Bildung, Wohnen, Mobilität und Sport.

Ich veröffentliche einen Newsletter, in dem ich wöchentlich über meine Arbeit im Bundestag und im Wahlkreis berichte. Dazu gehören auch die Fortschritte in meinem Arbeitsbereich als Behindertenpolitische Sprecherin. Mein Schwerpunkt ist die inklusive Gesellschaft und dafür habe ich gemeinsam mit meiner Partei in dieser Legislaturperiode viel getan — trotz Corona und eines häufig blockierenden Koalitionspartners. Ich bin stolz darauf, mehrere wichtige Gesetze mit auf den Weg gebracht zu haben. 

Mit dem Teilhabestärkungsgesetz etwa, wurde die Begleitung durch Assistenzhunde im öffentlichen Raum erstmals geregelt. Gewaltkonzepte gegen Frauen und Mädchen sind in Einrichtungen jetzt Pflicht. Auch haben wir das Budget für Ausbildung weiter ausgebaut, damit vor allem junge Menschen leichter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz haben wir europäische Standards für Digitale Produkte und Apps gesetzt, damit auch am Computer und Handy keine Barrieren entstehen. Mit dem Angehörigenentlastungsgesetz haben wir schon vor der Pandemie einen wichtigen Beitrag für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung geleistet. Nicht zuletzt haben wir dafür gesorgt, dass Menschen mit Behinderung mehr von ihrem Gehalt behalten können. Die Bilanz kann sich also sehen lassen. Persönlich habe ich mich besonders für die Kostenübernahme von Begleitpersonen im Krankenhaus eingesetzt, damit der Krankenhausaufenhalt für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung nicht am Geld scheitert. Obwohl es hierbei um geringe Kosten ging, wollte Jens Spahn diese Regelung unbedingt verhindern. Erst nach zähen Verhandlungen von einem dreiviertel Jahr konnten wir uns durchsetzen. Ein Erfolg für alle Betroffenen, auf den ich sehr stolz bin.

Teilweise hätten wir uns mehr gewünscht. Etwa eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe die wir
aufgrund des Widerstands unseres Koalitionspartners nicht umsetzten konnten. Dabei wäre das so wichtig, damit Unternehmen ihre Verpflichtung, mehr Schwerbehinderte einzustellen, endlich flächendeckend ernst nehmen. Gleiches gilt für die Stärkung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements gerade auch in kleinen und mittleren Betrieben. Und es gilt für den weiteren Ausbau bezahlbarer barrierefreier Wohnungen und Läden. Um das Umzusetzen, brauchen wir als SPD ein stärkeres Mandat der Bürgerinnen und Bürger.
Menschen mit Behinderung brauchen jemanden, der ihre Interessen im Bundestag vertritt. Ich mache das, egal um welchen Fachbereich es geht. Häufig werde ich zum Beispiel in den Bereichen Verkehr und Wirtschaft um Rat gefragt.
Das geschieht häufig. Ich versuche, einen kurzen Draht zu den Verbänden und zu wichtigen Personengruppen zu haben. In hektischen Phasen ist das schon mal eine Herausforderung, aber es ist eine gute Informationsquelle, um an aktuellen Debatten teilzunehmen. Wichtig sind mir auch regelmäßige Besuche in Einrichtungen.
Menschen, die eine Einschränkung haben, erhalten mit den Werkstätten ein geschütztes Umfeld, in dem sie Arbeitserfahrungen sammeln und angemessen betreut einer Tätigkeit nachgehen können. Werkstätten sollen daher für Menschen offen stehen, die sie brauchen. Aber sie dürfen nicht zum Abstellgleis werden. Der Übergang von Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt muss in Zukunft noch viel stärker genutzt werden. Dafür wollen wir an unterschiedlichsten Punkten ansetzten. Wir arbeiten zum Beispiel an einer Reform des Werkstattentgelts. Aktuell wird dazu eine groß angelegte Studie durchgeführt, auf deren Grundlage Lösungen erarbeitet werden sollen. Außerdem wollen wir eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe, damit Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderung beschäftigen, das deutlicher im Geldbeutel spüren. Die Einnahmen wollen wir dazu nutzen, Ansprechstellen aufzubauen, die Arbeitnehmende mit Einschränkungen und Unternehmen zusammenführen. Dadurch werden wir mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Betriebe einbinden können als bisher.
Dank der SPD wurde das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ein Jahr früher umgesetzt als es die EU-Richtlinie fordert. Nun werden europaweite Standards eingeführt. Es gilt jetzt, den Prozess der Barrierefreiheit weiter zu beschleunigen. In einer SPD-geführten Regierung könnte ich mir einen Runden Tisch mit den Ländern zum Thema vorstellen. Baurecht ist Ländersache, aber in Sachen Barrierefreiheit darf es keinen Flickenteppich geben. Außerdem müssen wir schneller werden. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz haben wir den Fokus im Übrigen auf ein Thema gerichtet, dass häufig vergessen wird: die digitale Barrierefreiheit. Corona hat uns nochmal gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung ist. Videochats mit Freunden oder Arbeiten im Homeoffice muss auch für Menschen mit Behinderung problemlos möglich sein. Daher haben wir die Unternehmen dazu verpflichtet, dies technisch möglich zu machen.
Es geht hier um das Baurecht. Als Bund haben wir keine ausreichenden Befugnisse. Wir können aber Barrierefreiheit zur Bedingung für Förderprojekte machen. Das muss in Zukunft besser gelingen als es mit dem bisherigen Koalitionspartner der Fall war.
Wir wollen Inklusion zur Normalität machen. Egal ob es um Bildung, Beruf oder Freizeit geht. Dafür braucht es eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt, die ich ja schon angesprochen habe. Zugleich müssen wir Barrieren abschaffen. Bei baulichen Barrieren können wir das nicht alleine entscheiden, aber wir können finanzielle Anreize setzen. Dieses Instrument will die SPD besonders beim Wohnungsbau nutzen. Darüber hinaus brauchen wir auch ein stärkeres Engagement für Leichte Sprache. Vor allem Behörden müssen ihre Dienstleistungen und Informationen barrierefrei und in Leichter Sprache anbieten. Das gilt auch für digitale Dienstleitungen. Wichtig ist mir zudem die politische Partizipation. Ich bin froh, dass Menschen mit Einschränkungen nicht mehr daran gehindert werden, zu wählen. Die Streichung des Paragrafen 13 Nr. 2 im Bundeswahlgesetz hat die SPD gegen die CDU/CSU durchgesetzt. Jetzt müssen wir erreichen, dass sich mehr Menschen mit Behinderung aktiv an der Willensbildung in unserem Land beteiligen und sich zur Wahl stellen. Damit sie das auf Augenhöhe tun können, braucht es den richtigen Rahmen und eine angemessene Unterstützung. Dafür will ich mich einsetzen.

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Im Interview beantworten die behinderten- und teilhabepolitischen Sprecher*innen verschiedener Parteien Fragen rund um das Thema Inklusion. Hier finden Sie alle Interviews im Überblick.