Das wir gewinnt

Unsere Aufgabe ist es, alle Kinder für die Zukunft fit zu machen 

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Raus aus der Komfort-Zone! Das gilt sowohl für die Lehrkräfte als auch die Schüler*innen. Sich als Lehrer*in nicht weiterzuentwickeln ist genauso falsch wie als Schüler*in keine Selbstverantwortung zu übernehmen. Im Interview erläutert Silke Müller, Schulleiterin der Waldschule Hatten, wie sie zu dieser Überzeugung gelangt ist.

Was sind für Sie die wichtigsten Synergieeffekte aus Inklusion und Digitalisierung?

Ich glaube, dass Digitalisierung in der Inklusion viel mehr Differenzierung ermöglicht. Es gibt z.B. super Montessori-Material, das wirklich handlungsaktiv digitalisiert ist in Form diverser Apps. Außerdem sind auch Kinder mit Inklusions-Bedarf in der medialen Welt verankert. Manche Kinder mit Förderbedarf können sich im Netz allerdings schlechter schützen, sind vielleicht weniger reflektiert oder haben einen anderen kognitiven Umgang mit Problemen. In der digitalen Welt sind sie dann komplett alleingelassen. Wenn wir Digitalisierung als selbstverständlich in inklusiven Prozessen betrachten, dann müssen wir die Kinder in ihrer Lebensumwelt abholen. Erst dann können wir Teilhabe für alle ermöglichen. Der ursprüngliche Gedanke von Inklusion ist ja: Jeder hat jederzeit das Recht, an allem in der Gesellschaft teilzuhaben. Wenn wir gleichzeitig berücksichtigen, dass wir in einer Kultur der Digitalität leben, können wir erst dann ganzheitlich Inklusion betreiben. 

Wo sehen Sie den Mehrwert, den Digitalisierung in die Schule bringt?

Viele denken: Wenn ich etwas umstellen soll, muss das aber einen größeren Mehrwert haben im Vergleich zu vorher. Das ist aber gerade im Bereich der Digitalisierung im schulischen Kontext nicht zwangsläufig so. Axel Krommer zum Beispiel ist Didaktiker im Digitalisierungs-Bereich und sagt: Wir müssen weg von dieser Mehrwert-Debatte. Lesen, Schreiben, Rechnen stellt keiner in Frage. Niemand würde sagen: Wo ist da der Mehrwert? Was soll das? Aber obwohl die Welt digital geworden ist und der Umgang mit digitalen Medien eine Kompetenz darstellt, wird Digitalisierung in der Schule noch in Frage gestellt. Und wenn jemand sagt: Kinder müssen stattdessen mal wieder lesen und schreiben und auf Bäume klettern, dann sagen wir: Die Grundkompetenz für alle Kinder mit jedem Bedarf, um in der Netzwelt zurechtzukommen, ist: Lesen. Ich kann keine Instagram-Nachricht verstehen, wenn ich nicht lesen kann. Viele denken, nur weil ich ein Tablet habe, lese und schreibe ich nicht mehr, aber das stimmt nicht.

Wie verändert sich die Rolle der Schüler*innen durch das digitale Arbeiten? 

Gerade in puncto Selbstständigkeit oder auch Selbstverantwortung füreinander und für die Inhalte verändert sich die Rolle der Schüler*innen komplett. Für manche Schüler*innen – insbesondere in der Oberstufe – war es sicherlich auch angenehm, sich hinzusetzen und zu sagen: „So Lehrer, jetzt beschall mich mal.“ Das weiß ich selbst noch aus meiner Schulzeit: Hinsetzen und warten, was sie erzählen, ein bisschen mitschreiben, irgendwann eine Klausur schreiben – das war ja bequem. Die Umstellung, handlungsorientiert und wirklich prozessorientiert zu arbeiten, fordert Kindern ganz schön was ab und sie müssen erst raus aus ihrer Couch-Potato-Rolle.
Silke Müller, eine Frau mit blonden Haaren, lächelt in die Kamera. Im Vordergrund sieht man unscharf eine weitere Person sowie einen Laptop, der vor ihr auf dem Tisch steht.

Silke Müller

... ist Schulleiterin an der inklusiven Waldschule Hatten. Mit viel Engagement hat sie hier ein innovatives Schulkonzept vorangebracht, bei dem digitale Medien in alle Schulbereiche einfließen.

Wenn wir das Digitale ausklammern, dann begehen wir große pädagogische Fehler.

Silke Müller, Schulleiterin Waldschule Hatten

Was erwidern Sie Kolleg*innen, die sich durch die beiden Herausforderungen Inklusion und Digitalisierung in der Schule überfordert fühlen?

Teilweise habe ich Verständnis, weil der Druck und der Stressfaktor extrem hoch sind. Ich weiß selbst, was es heißt, vor einer Klasse zu stehen, wo die Kinder über Tische und Bänke gehen, und du keine Ausstattung und keine Möglichkeiten hast.

Sobald wir aber anfangen uns zu beklagen: „Inklusion ist das Eine. Aber jetzt müssen wir auch noch das Digitale vorantreiben!“ ist das fahrlässig. Digital ist normal – für alle! Ich weiß, dass es viele Schulen gibt, die nicht gut vernetzt sind und die nicht innovativ arbeiten. Digitalisierung in der Schule wird immer noch als Add-on begriffen. Manchmal denke ich: Wie lebt ihr denn sonst? Der Kaffeevollautomat ist normal, der Staubsauger-Roboter ist normal. Dass ich mit einer App bei Amazon oder Zalando shoppe, das ist normal. Aber in der Schule heißt es: Da kommt jetzt was obendrauf. Da läuft doch was falsch! Schule soll auch Lebenswelt abbilden. Und das tut sie nicht. Wir sind doch Lehrer*innen geworden, um die Kinder für die Herausforderungen der Zukunft fit zu machen. Und jetzt zu sagen: Diese Welt da draußen blenden wir einfach aus, finde ich fahrlässig. Dann verfehlen wir unseren Job. Das sage ich auch den Kolleg*innen so deutlich. Wenn wir das Digitale ausklammern, dann begehen wir große pädagogische Fehler.

Wie können Lehrkräfte aus dieser Überforderung herauskommen?

Manche Kolleg*innen beschweren sich, aber sie ändern nichts. Sie sagen: Jetzt muss ich mich um Inklusion kümmern, um Digitalisierung und um die Flüchtlingskinder mit ihrer Sprachförderung. Wie soll ich das denn alles schaffen? Aber sie bleiben bei der Frage stehen. Sie suchen nicht nach Antworten. Es ist die Grundaufgabe eines Lehrers oder einer Lehrerin, sich zu entwickeln. Wir versuchen, lebenslanges Lernen zu vermitteln und tun es selbst nicht. Ich kritisiere diese Haltung.

Ich glaube, manchen Lehrkräften fehlt ein Trigger-Moment, in dem du merkst: Gerade bei heterogenen Klassen funktioniert das! Da kann das Digitale – wenn es dann ritualisiert ist – zum Schlüsselmoment werden.

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