Digitaler Unterricht spart Zeit
Herr Priano, was sind ganz konkrete Mehrwerte von digitalen Medien in Ihrem Unterricht?
Extrem haben wir es beim Homeschooling gemerkt: Tim, der im Rollstuhl sitzt und in Präsenz immer wieder merkt, dass er auf Hilfe anderer angewiesen ist. Er braucht die Schüler*innen zum Beispiel, um Sachen aus der Tasche zu holen, vor dem Bildschirm ist er aber genauso präsent und eigenständig wie alle anderen. Das hat ihm viel Selbstbewusstsein gegeben. Er ist ein Schüler, der sich immer tausendmal rückversichert hat und nie auf die Idee gekommen wäre, mal die Führung zu übernehmen. Und jetzt sagt er plötzlich in einer Gruppenarbeit, dass er vorlesen will! Das hat er noch nie gesagt. Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, aber wir haben gemerkt, dass er sich im letzten Jahr extrem entwickelt hat - ich glaube, weil er gemerkt hat, dass er genauso ist wie die anderen.
Wie verändert sich die Rolle von Lehrer*innen und Schüler*innen durch die digitale, inklusive Arbeit?
Das Lernen mit Videos zum Beispiel verändert den Unterricht total, weil man komplett aus dieser Rolle des „allwissenden Lehrers“ rauskommt. Jetzt heißt es nicht mehr: “Ich bringe dir jetzt was bei”, sondern: “Ich begleite dich beim Lernen”. Das Video erklärt es dir! Und wenn du das Video nicht verstehst, dann guckst du es nochmal an und nochmal und wenn du es immer noch nicht verstehst, bin ich immer noch da. Man begleitet viel mehr und muss den Schülern andere Kompetenzen an die Hand geben als bloße Wissensvermittlung. Es geht eher darum: Wie lerne ich selbstständig? Was kann ich davon in den Alltag übernehmen? Wie finde ich heraus, wie ich gut lerne? Bin ich jemand der Ruhe braucht oder stört es mich nicht, wenn andere dabei sind? Tausche ich mich lieber aus oder lerne ich gerne allein? Ich glaube, so verändert das digitale Lernen ganz automatisch die Rolle des*der Lehrers*in.
Und dann ist es teilweise – zum Beispiel bei Minecraft so, dass die Schüler*innen zum Teil viel besser wissen, wie man da etwas baut als ich. Da frage ich dann auch mal: “Wie kriege ich das hin?” Aber als es dann ans Programmieren ging, da habe ich dann wieder gesagt: “Okay, jetzt zeige ich euch etwas bei Minecraft.” Man muss da hinkommen, dass es zu einem Miteinander mit den Schüler*innen wird. Gerade für die Schüler*innen, die oft eher als unterschätzt gelten, ist es natürlich super mal in eine andere Rolle zu schlüpfen.
Ein guter Einstieg ist immer ein digitales Quiz. Das ist motivierend, in der Regel finden es alle toll und es ist schnell gemacht.
Welche Tipps würden Sie Lehrer*innen für den Einstieg ins digitale inklusive Lernen geben?
Ein guter Einstieg ist immer ein digitales Quiz. Das ist motivierend, in der Regel finden es alle toll und es ist schnell gemacht. Ansonsten rate ich in meinen Fortbildungen für den Anfang zu Tools, die vorgefertigt sind. LearningApps z.B. ist etwas, wo ich dann frage: „Was willst du denn für ein Thema machen?“ Zum Beispiel: die Uhrzeiten. Dann schauen wir, was es dazu schon gibt und ich kann sagen: “Mach das doch einfach, das ist doch schon fertig, da musst du gar nichts verändern und du kannst es einfach so nutzen.” Das ist ein sehr einfacher Einstieg. Ich baue zum Teil auch Materialien für das Smartboard selbst, die dann auch noch motorisch differenziert sind - doch wenn ich diese am Anfang der Fortbildung zeigen würde, dann wären die meisten direkt weg.
Es muss möglichst effizient sein, wenig Zeit kosten und viel bringen, das sind für viele Lehrer*innen wichtige Kriterien. Einige bleiben dann auf dem Niveau, das ist auch okay. Andere gehen in eine andere Richtung: die kommen dann mit neuen Ideen, arbeiten sich ein und merken, was alles möglich ist, wenn man wirklich anfängt, etwas mit den Tools zu bauen. Aber es ist ja egal, wo jede*r hängen bleibt. Ich glaube, es wird mehr und mehr in die Richtung gehen, dass gerade junge Kolleg*innen mit viel technische Erfahrung immer versierter werden und die digitale Entwicklung an den Schulen mittragen und vorantreiben.
Müssen Pädagog*innen mutiger und experimentierfreudiger werden?
Mal ehrlich: Ist digitaler Unterricht nicht viel mehr Arbeit?
Gerade bei unseren Schüler*innen ist es dann auch sehr individuell, wie man das Tool einsetzt. Du kannst es nicht bei jeder*m Schüler*in gleich einsetzen.
Aber, das Gute ist: Es wird irgendwann wirklich weniger Arbeit. Man hat dann seine fertigen Vorlagen, die man benutzen kann und die ergänzt man dann um die ein oder andere neue Facette. Ich profitiere jetzt auch zeitlich im Unterricht. Meine Kollegin und ich konnten uns z.B. unterhalten und die Schüler*innen haben gearbeitet. Das hat die überhaupt nicht interessiert, was ich gemacht habe. Manchmal sitzen Tanja und ich hier und schauen einfach, was passiert. Das hat natürlich nicht nur mit digitalen Medien zu tun, sondern auch mit dem Unterrichtsaufbau. Aber wenn man zum Beispiel an die Mathe-App denkt: Ich muss mir nicht die Mühe machen, die Arbeitsblätter mit Zahlen zu füllen, sondern ich habe ein Blanco-Arbeitsblatt und die Schüler*innen würfeln sich dann die Aufgaben. Sie haben noch nie gesagt: “Die Aufgabe hatte ich schon mal”. Das erleichtert natürlich die Arbeit.
Was sind Ihre Lieblings-Apps?
Für Einsteiger*innen finde ich neben LearningApps auch Text-To-Speech Apps ganz gut, wenn ich zum Beispiel Lesen ausgleichen will, oder interaktive Arbeitsblätter erstellen will, das geht mit Worksheet Go sehr gut.