Das wir gewinnt

Mit digitalen Medien zu mehr Selbstständigkeit

Die außerschulische Jugendarbeit hat schon lange erkannt, dass Smartphone, Tablet und Co. feste Bestandteile der jugendlichen Lebenswelten sind – und räumt der medienpädagogischen Arbeit dementsprechend viel Raum ein. Eine Rollenverschiebung findet dabei ganz automatisch statt, erklärt Bianca Rilinger, die selbst die inklusive offene Jugendeinrichtung „OT Ohmstraße“ in Köln leitet. Warum das positiv ist für die Beziehungsarbeit und inwiefern Technik-Pannen entschleunigend wirken können, erklärt sie im Interview. Außerdem gibt sie Tipps für den Start in die inklusive Medienarbeit und stellt ihre Lieblings-Apps vor.

Wie verändert sich Ihre pädagogische Arbeit durch den Einsatz von digitalen Medien?

Ich merke, dass gerade durch die inklusive medienpädagogische Arbeit ein gewisses Maß an Entschleunigung entsteht. Das hätte ich nie im Leben gedacht! Die Technik funktioniert nicht immer, wie der Mensch das will. Es braucht einfach manchmal Zeit, bis etwas funktioniert. Da ist man z.B. mitten in einem Prozess und dann sagt der Computer: „Service Update. Sie können die App jetzt nicht weiter benutzen.“ Dann überlegt man gemeinsam: „Was können wir jetzt tun, damit wir hier weitermachen können?“ Das heißt: Immer wieder steht man vor einer neuen Herausforderung, die man aber mit der Zeit entspannt meistern kann. Ich nutze solche Technik-Aussetzer mittlerweile für eine Pause. Ich bekomme keinen Nervenzusammenbruch mehr, wenn ein Gerät mal nicht funktioniert. 

Früher war ich sehr fixiert auf das Ergebnis eines Projektes und dachte oft: „Oh Gott, morgen musst du das Produkt fertig haben!“ Rückblickend war dann aber z.B. der Dialog mit den Jugendlichen oder ihre Selbstständigkeit viel wertvoller. Natürlich ist es immer schön, wenn man ein fertiges Produkt hat. Manchmal ist aber das Produkt gar nicht so wichtig, sondern der Prozess an sich ist viel cooler.

Welchen Einfluss hat die Medienarbeit auf Ihre Rolle als Pädagogin?

Oft neigt man als Pädagog*in dazu, das eigene Wissen weiter geben zu wollen. Wenn ich aber selber in Situationen komme, in denen mein Wissen begrenzt ist, dann erlebe ich in einer Gruppe eine Rollenverschiebung. Alle sind dann auf Augenhöhe, weil keiner weiß, wie es funktioniert. Alle probieren mal etwas aus. Oft sind es dann die Jugendlichen, die eine Lösung finden. Dann musst du es aushalten können, dass die Jugendlichen sagen: „Du musst doch einfach nur den Stöpsel da reinstecken!“ 

Wie oft passiert es, dass die Technik durchdreht und ich mir denke „Oh Gott! Das wird nie was“ – bis die Jugendlichen kommen und sagen: „Geh du mal Kaffeetrinken, wir machen das jetzt!“ Oder, dass die Jugendlichen mit tollen Apps um die Ecke kommen, die man nicht kennt. Dann muss man die Flexibilität und die Muße haben zu sagen: „Hast du Bock, dich da vorne hinzustellen und es den anderen zu zeigen?“ Es ist dann einfach unglaublich cool, sie dabei zu erleben. Und es ist ein großer Mehrwert für die Beziehungsarbeit.

Welche Veränderung nehmen Sie bei Ihren Jugendlichen durch die Arbeit mit digitalen Medien wahr?

Die Jugendlichen werden unglaublich selbstständig. Sie brauchen uns nicht mehr, um etwas gezeigt zu bekommen – im Gegenteil! Wir haben einen Jugendlichen hier im Haus, der mit zehn Jahren das erste Mal hier war. Mittlerweile ist er 19 und gibt bei uns medienpädagogische Kurse. 
Anfangs hat er an Workshops teilgenommen, hat sich in das Thema eingearbeitet und ganz viel eigenes Engagement mitgebracht. Wenn ich jetzt etwas schneiden muss und ich weiß nicht genau, wie es funktioniert, dann ruf ich ihn an und sage: „Hey, kannst du mir das kurz erklären?“ Ich spüre deutlich, dass die Jugendlichen dadurch selbstbewusster werden. 

Außerdem haben sie mehr Teilhabe sowohl am sozialen Leben als auch im Bereich Schule. Gerade in der Situation der Corona-Pandemie haben wir gesehen: Wenn Jugendliche wissen, wie sie z. B. einfach mit dem Smartphone per Videotelefonie mit Leuten in Kontakt treten können, dann haben sie deutlich mehr soziale Kontakte.

Bianca Rilinger, eine junge Frau mit kurzen Haaren und Brille.

Bianca Rilinger

... arbeitet seit 2004 in der OT Ohmstraße. 2013 hat die gelernte Heil- und Inklusionspädagogin dort die Leitung übernommen. Seitdem setzt sie sich dafür ein, dass die inklusive Medienarbeit in der OT Ohmstraße ständig ausgebaut wird. In ihren eigenen Workshops setzt sie am liebsten auf kreative Arbeit am Tablet. Als Inklusions-Scout des Netzwerks Inklusion mit Medien  berät sie auch andere Organisationen zu inklusiver, digitaler Jugendarbeit.

Es macht was mit einem, wenn man Kompetenzen im digitalen Bereich erwirbt – man entwickelt sich weiter. 

Bianca Rilinger, Leiterin der OT Ohmstraße

Welche Kompetenzen brauchen Pädagog*innen für die inklusive Medienarbeit?

Es braucht einfach nur den Willen und die Offenheit, inklusiv zu arbeiten und so ein Gerät in die Hand zu nehmen. Und vielleicht ein bisschen Mut, sich einer neuen Perspektive zu stellen. Dann läuft es von alleine, das kann ich garantieren. Wenn man nämlich einmal angefangen hat und merkt, wie cool das ist und dass es auch Spaß macht, dann bleibt man dran. Wie oft habe ich nach einem Workshop abends zuhause im Bett gelegen und irgendwelche lustigen Comics gemacht, weil ich dachte: „Wow, jetzt weiß ich wie es geht – voll cool!“ Es macht was mit einem, wenn man Kompetenzen im digitalen Bereich erwirbt – man entwickelt sich weiter. Man sollte gewillt sein, sich immer wieder mit neuen Phänomenen, neuen Apps und neuen Themen auseinanderzusetzen.

Was würden Sie Pädagog*innen für den Einstieg in die inklusive Medienarbeit raten?

Ein cooler erster Schritt ist, sich auf eine Plattform oder in ein Netzwerk für inklusive Medienarbeit zu begeben. Hier trifft man Leute, die sich schon auskennen. Man kann mit ihnen gezielt in Kontakt treten und sagen: „Ich möchte gerne anfangen, aber ich weiß nicht, wie.“ Oft finde ich jemanden, der oder die sagt: „Probier's mit dieser App! Ich garantiere dir, dass es funktioniert und alle haben Spaß.“ Dann hat man viel mehr Sicherheit und Muße, sich damit auseinanderzusetzen, als wenn man sich alles selbst erarbeiten muss.

Was sind Ihre Lieblings-Apps für die inklusive Kinder- und Jugendarbeit?

Meine absolute Lieblings-App ist IMovie . Die bietet ganz viele Möglichkeiten: Ich kann ein Video drehen, ich kann das Video mit Untertitel bestücken, ich kann es gleichzeitig mit einer Audio-Deskription  versehen. Ich kann aber auch nur die Tonspur abspeichern. Das heißt, ich kann in einem einfachen Schnitt-Programm Hörspiele oder andere Audioproduktionen machen. Die App ist großartig. 

Die zweite großartige App ist Clips. Clips ist super z.B. für Instagram Stories. Da können die Jugendlichen Filter benutzen. Wenn sie eine Live-Aufnahme machen, können sie automatisch auch eine Untertitel-Funktion mit einbauen und diese danach auch noch bearbeiten. Das ist total genial, weil man wirklich wenig Arbeit hat, es später noch zu verschriftlichen. 

Comic Life ist eine weitere tolle App, die wir zum Beispiel für Bild-Rezepte nutzen. Wir haben damit ein Kochbuch gemacht mit einer inklusiven Medien-Koch-Gruppe. Die haben Rezepte ausprobiert und dann Bildrezepte erarbeitet in der Comic Life-App. Die App ist wirklich sehr simpel und übersichtlich.

Apps und Software

Alles Wissenswerte sowie wichtige Links zu den erwähnten digitalen Tools finden Sie in unserer Übersicht.

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