Das wir gewinnt

Wie kann digital-inklusive Bildung umgesetzt werden?
Gelingensbedingungen für die Praxis

Drei Männer mit und ohne Behinderung sitzen an einem Schreibtisch vor zwei Laptops. Einer von ihnen gibt das Daumen-hoch-Zeichen. Alle drei lachen.
Zu einer zukunftsgerichteten Bildung gehören auch der Zugang und der kompetente Umgang mit digitalen Medien: und zwar für alle jungen Menschen. Bildungseinrichtungen stehen vor der großen Herausforderung, Inklusion beim Auf- und Ausbau der digitalen Infrastruktur mitzudenken und digitale Medien bei der Umsetzung von inklusiver Methodik und Didaktik zu integrieren. Dafür müssen notwendige Kompetenzen und Netzwerke aufgebaut und Pädagog*innen und Verantwortliche von den Mehrwerten überzeugt und fortgebildet werden. Bereits vorhandene Erfahrungswerte und Gelingensbedingungen aus Fach- und Praxiskreisen geben bei der Umsetzung eine gute Orientierung.
Digitale Medien bieten für inklusive Lern- und Bildungsprozesse vielfältige Möglichkeiten, die noch viel bewusster und gezielter an Schulen und außerschulischen Kinder- und Jugendeinrichtungen miteinbezogen, etabliert und weiterentwickelt werden müssen. Die Corona-Pandemie hat allen pädagogischen Akteur*innen sehr drastisch vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn nicht alle Kinder und Jugendlichen an digitalen Lernangeboten teilnehmen können. Ihnen wurde bewusst wie herausfordernd es ist, Wissen digital attraktiv zu vermitteln und dabei auf individuelle Aneignungsprozesse aller Lernenden einzugehen. Ebenfalls wurde deutlich, wie groß das Gefälle zwischen digitalen Vorreiter-Bildungseinrichtungen und Schulen bzw. Bildungsorten ist, die sich gerade erst auf den Weg machen. Durch die krisenbedingten Erfahrungen hat das Thema digitale inklusive Bildung einen starken Schub bekommen. Von vielen Seiten werden Forderungen nach einem zügigen Umsetzungsprozess laut. Gerade für junge Menschen mit Beeinträchtigungen liegen die Mehrwerte von digitalen Medien auf der Hand, doch viele Bildungseinrichtungen tun sich damit immer noch schwer. Digitale inklusive Bildung ist erfahrungsgemäß mit vielschichtigen Herausforderungen verbunden, die sich auf unterschiedliche Verantwortungsbereiche verteilen. In der Konsequenz ist damit ein grundlegender Wandel verbunden, der bei allen Beteiligten die Bereitschaft voraussetzt, Organisationsstrukturen, Lehr- und Lernprozesse, Lerngegenstände und -räume sowie pädagogische Rollen- und Teamverständnisse neu zu denken. Diese müssen so umgestaltet werden, dass alle Lernenden Bildungserfahrungen machen können, die sie auf Herausforderungen einer Gesellschaft von morgen tatsächlich vorbereiten. Solche Veränderungen brauchen bekanntlich Zeit, Prozesse müssen sich etablieren, Lösungen müssen gefunden und Mehrwerte erst offensichtlich und auch messbar werden. Umso wichtiger ist es, dass Bildungsverantwortliche diese Transformationsprozesse an ihren Schulen und Bildungseinrichtungen zügig, konsequent und verantwortungsbewusst vorantreiben. 

Tatsächlich hat die Entscheidung, die Schule grundlegend zu reformieren – und zwar dahingehend, dass plötzlich überall WLAN war und jeder ein Gerät hatte – zur Ruhe geführt. Denn es gab eine Entscheidung, in welche Richtung es geht.

Standards und zuverlässige Unterstützungssysteme sind notwendig 

Auch wenn Bildungseinrichtungen bei der Implementierung von inklusiven und digital-gestützten Lernumgebungen ihre eigenen Wege finden und gehen müssen, braucht es für eine nachhaltige und wirkungsvolle Umsetzung eine Gesamtstrategie. Daran müssen alle relevanten Akteur*innen konzentriert mitwirken – unter anderem Bund, Länder, Kommunen, Pädagog*innen und Lehrkräfte, Eltern sowie auch Medienanbieter. Verschiedene Expert*innengremien, darunter auch der Expert*innenkreis der deutschen UNESCO-Kommission sowie auch die Fachgruppe Inklusive Medienbildung der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK), haben dazu eigene Positionspapiere und Stellungnahmen erarbeitet. Dort sind wichtige Rahmen- und Gelingensbedingungen näher beschrieben und erläutert. Bei Anforderungen wie u.a. Barrierefreiheit, technische Zugänge und Materialbereitstellung braucht es klare Standards, Systematiken und auch Lizenzmodelle. Ähnliches gilt auch für die pädagogische Aus- und Fortbildung sowie die weitere wissenschaftliche Erforschung und Analyse einer inklusiv-digitalen Didaktik und Methodik. 

Vor Ort sind es vor allem engagierte Leitungen sowie pädagogische und digitale Expert*innen in eigener Sache, die mit Überzeugung und einer positiven Grundhaltung diese Herausforderung annehmen müssen. Sie sind diejenigen, die Lern- und Unterrichtsangebote gestalten, mit denen Kinder und Jugendliche in ihren individuellen Stärken und Bedarfen bestmöglich gefördert werden. Dabei ist es wichtig, dass sie digitale Medien als wertvolle Unterstützungshilfen wahrnehmen und das Selbstverständnis haben, diese im engen Austausch über multiprofessionelle Team- und Netzwerkstrukturen in ihre eigene pädagogische Arbeit nachhaltig zu integrieren. Kinder und Jugendliche sollten dabei mit ihren (digitalen) Kompetenzen einbezogen und Lernprozesse gemeinsam und auf Augenhöhe gestaltet werden.
 
 

Die sechs wichtigsten Gelingensbedingungen für eine gute inklusiv-digitale Bildungspraxis

Inklusive Haltung und Aufgeschlossenheit gegenüber digitalen Medien vermitteln und stärken

  • Die grundlegende Einstellung und Überzeugung von Pädagog*innen nimmt auf erfolgreiche inklusive Lernprozesse entscheidenden Einfluss. Inklusion muss als ein selbstverständlicher Bestandteil eines Schul- bzw. Bildungskonzepts verstanden werden.
  • Ebenso wichtig ist die positive Grundhaltung und Offenheit gegenüber digitalen Medien, die gerade in der inklusiven Didaktik wie auch bei der organisatorischen Unterstützung aller Lernenden wichtige Mehrwerte bieten können.
  • Dafür braucht es die Offenheit und Bereitschaft, sich auf die notwendigen Veränderungsprozesse einzulassen, das eigene (Digital-)Wissen zu erweitern und im Austausch mit anderen Expert*innen neue (möglichst auch positive) Erfahrungen zu machen, die dazu beitragen die eigenen pädagogischen Arbeitsweisen weiterzuentwickeln.

Technische Infrastruktur barrierefrei und tragfähig auf- und ausbauen

  • Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für gute digital-inklusive Bildung ist eine zuverlässig funktionierende Technik. Hierbei geht es vor allem um die passende Ausstattung eines Lernorts mit möglichst barrierefreier und bedarfsgerechter Infrastruktur.
  • Dazu braucht es tragfähige Finanzierungsmodelle, die nicht auf der Bereitstellung von Endgeräten durch Eltern bzw. Elternvereine basiert. Die Finanzierung sollte über Bund-, Länder- und kommunale Ebenen getragen und gesteuert werden.
  • Ein ebenso zentraler Erfolgsfaktor liegt in der nachhaltigen Gerätewartung sowie individuellen technischen Beratung und Unterstützung der Schulen und Bildungseinrichtungen vor Ort. Hierzu braucht es technisch und medienpädagogisch versiertes Personal, damit Aufwand und Verantwortung nicht auf den Schultern einzelner engagierter Pädagog*innen liegen. Wenn dem doch so ist, sollten diese Personen entsprechend entlastet oder anteilig dafür freigestellt werden. 

Didaktische Materialien entwickeln und übergreifend zugänglich machen

  • Digitale Medien und Lernsysteme eröffnen vielfältige Möglichkeiten des Förderns und Übens und haben methodisch-didaktisch hohes Potenzial, adaptierbare Lernangebote und -settings für alle Lernenden zu schaffen.
  • Um diese in der Praxis qualitativ gesichert anzuwenden, braucht es zum einen differenzier- und adaptierbare Lern- und Arbeitsmaterialien, zum anderen entsprechende methodisch-didaktische Konzepte, Modelle und Umsetzungspläne. Dabei müssen vor allem auch sonderpädagogische Handlungsfelder, wie Individualisierung, Differenzierung, Kollaborationsansätze und Lernstandserfassung, mitberücksichtigt werden.
  • Das Fundament der digital-inklusiven Didaktik steht als relativ junge Disziplin noch ziemlich am Anfang und es bedarf, neben inhaltlicher Weiterentwicklung und der Definition von Qualitätskriterien, einer weiteren Beforschung durch wissenschaftliche Studien. Zudem wäre es wichtig, bereits erprobte Materialien und Konzepte für digital-inklusive Lern- und Projektsettings für möglichst viele pädagogische Akteur*innen zu bündeln und unter freier Lizenz zugänglich zu machen (OER-Datenbank). 

Partizipative Entwicklungskulturen nachhaltig implementieren

  • In schulischen wie auch außerschulischen Entwicklungsprozessen sind statt einer Top-Down-Strategie vor allem partizipatorische Ansätze erfolgsversprechend. Inklusion und Digitalisierung sind beides komplexe Themen, die verschiedenen Professionen und Expertisen benötigen und auch personell zusammengeführt werden müssen.
  • Digital-inklusive Bildung funktioniert am nachhaltigsten als Kooperationsnetzwerk, in dem alle Beteiligten vor Ort aktiv eingebunden sind, professionsübergreifend zusammenarbeiten und sich im gegenseitigen (digitalen) Austausch unterstützen. Dem Leitungspersonal kommt dabei die entscheidende Rolle zu, entsprechende Freiräume (Konzeptarbeit), Netzwerke und Ressourcen dafür zu schaffen und nachhaltige Strukturen zu etablieren.
  • Gerade die Zusammenarbeit mit (weiteren) Strukturen der außerschulischen Kinder- und Jugendmedienarbeit kann dabei bereichern, da digitalen Medien dort schon länger eingesetzt werden, entsprechendes Know-how vorhanden ist und Fachkräfte wichtige Impulse und Kooperationsmöglichkeiten anbieten können. 

Den inklusiv-digitalen Kompetenzaufbau ermöglichen und konsequent fördern

  • Der Einsatz von digitalen Medien ist bei vielen pädagogisch Lehrenden noch immer stark mit der Unsicherheit verbunden, den technischen sowie didaktischen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein. Grund dafür ist mangelndes Wissen über die Gerätehandhabe sowie die Bedienbarkeit von Software-Anwendungen und Apps.
  • Oft fehlt auch das Know-how zur methodisch-didaktischen Medienbildung. Oder Lehrende haben zu wenig Erfahrungen mit alternativen Unterrichtskonzepten, in denen sich z.B. die Rolle der Lehrkraft von der reinen frontal-fokussierten Wissensvermittlung hin zur pädagogischen Lernbegleitung verschiebt.
  • Die dafür notwendigen Kompetenzen und der damit verbundene souveräne Medienumgang lassen sich über gezielte Fort- und Weiterbildungen fördern. Beides muss aber auch begleitend in der alltäglichen Praxis stattfinden.
  • Die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams ist als Maßnahme dabei unumgänglich. Auch kann über den persönlichen Kompetenzaufbau durch gegenseitige Unterrichts- bzw. Projektbesuche, regelmäßige Kurzschulungen in Kolleg*innenkreisen und gegenseitigen Austausch von (differenzierten) Lernmaterialien sehr viel erreicht werden. Gerade für das Thema digital-inklusive Bildung braucht es aber noch deutlich mehr hochwertige Fort- und Weiterbildungsangebote und -strukturen – auch auf kommunaler und Landesebene. 

Digitale Lern- und Organisationssysteme verknüpfen

  • Wie die Covid 19-Pandemie gezeigt hat, sind viele der von Schulen und Bildungseinrichtungen genutzten onlinebasierten Lernumgebungen nur unzureichend für die Moderation und Betreuung von heterogenen Lerngruppen und deren Verwaltung ausgelegt.
  • Hier sind Weiterentwicklungen zu Lern- und Schulinformationssystemen nötig, die im Sinne einer Lerninfrastruktur die inklusive Medien- und Schulentwicklung integrativ miteinander verzahnen. Dazu gehören barrierefreie Lernumgebungen, in denen alle Lernende individuell sowie vernetzt und kollaborativ miteinander kommunizieren und arbeiten können.
  • Für die interne digitale Organisationsstruktur wäre es wichtig, Lernmaterialien sowie Lern- und Förderpläne zugänglich zu machen und diese mit den Möglichkeiten individueller Diagnostik und transparenter Dokumentation von Lernfortschritten und Leistungsständen zu verbinden. Dies fordert u.a. den Einsatz eines entsprechenden abgestuften Zugriffs- und Rechtesystems.

Stimmen aus der Praxis

Bianca Rilinger, Inklusionspädagogin und Leiterin der Inklusiven OT Ohmstraße in Köln

Thomas Beckermann, Förderpädagoge und Medienpädagogischer Berater des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung 
Fabio Priano, Sonder- und Medienpädagoge an der Schule Elfenwiese Hamburg
Dr. Lea Schulz, Sonderpädagogin und Studienleiterin am Institut für Qualitätsentwicklung für Schulen in Schleswig-Holstein für den Fachbereich Digitale Medien und Inklusion in der Aus- und Fortbildung
Prof. Dr. Frank J. Müller, Sonderpädagoge und Juniorprofessor an der Universität Bremen für inklusive Pädagogik mit den Schwerpunkten Geistige Entwicklung und Lernen

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