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Interviews

Nach dem Dreh wollten wir von Andrea Schöne und Michael Felten wissen: Wie war das Gespräch? Was hat Dich überrascht oder nachdenklich gemacht? Gab es trotz gegensätzlicher Meinungen am Ende eine vorsichtige Annäherung an die Position Deines Gegenübers? 

 


Michael Felten

Porträt eines Mannes im höheren Erwachsenenalters mit roter Brille

Ich heiße Michael Felten, bin Lehrer und habe während meines gesamten Berufslebens am Gymnasium gearbeitet. Mit dem Thema Inklusion beschäftige ich mich seit im Jahr 2013 in Nordrhein-Westfalen ein groß angelegter Versuch zur Inklusion durchgeführt wurde. Es mehrten sich sehr schnell die Zeichen, dass da etwas schief läuft. Damals habe ich begonnen, Informationen zum Thema zu sammeln, mit Wissenschaftlern zusammen zu arbeiten, ein Buch zu schreiben und eine Website einzurichten.


Wie war das Gespräch heute für Sie?

Es war ein interessanter und angenehmer Austausch.

Gab es bestimmte Aussagen Ihres Gegenübers, die Sie besonders überrascht oder nachdenklich gemacht haben?
Wenn man sich sieben Jahre lang intensiv mit der Thematik beschäftigt, kommt es selten vor, dass einen etwas völlig überrascht. Aber jede persönliche Erfahrung, auch die meines Gegenübers, ist interessant. Deshalb war ich auch mein Leben lang gerne Lehrer. Es wurde nie langweilig, weil es immer wieder neue Schüler gab. Während sich in der Mathematik nicht so viel geändert hat.

Gibt es etwas, von dem Sie sagen: Das war ein wichtiger Punkt, den ich gerne noch im Gespräch untergebracht hätte, aber der mir im richtigen Moment nicht eingefallen ist?
Ja, da gab es mehrere. Aber die könnte ich Ihnen nicht aufzählen, denn ich habe sie schon wieder eine Stufe weiter ins Vergessen zurückgeschoben.

Haben Sie aus der Diskussion heute etwas gelernt?
Sagen wir so: Ich prüfe immer die persönlichen Erfahrungen, die ich mitgeteilt bekomme, inwieweit sie zu dem passen, was ich bisher gedacht habe. Und ansonsten – das war heute weniger ein Thema – bin ich immer daran interessiert, wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu erfahren, also Dinge, die ich noch nicht kenne. Man sollte immer dafür offen sein, sein Urteil und seine Perspektive zu ändern.

Welches sind die größten Unterschiede in Ihren Positionen?
Ich glaube, dass meine Gesprächspartnerin sich zu viel von dieser großen strukturellen Änderung erhofft. Das tun viele, die auf Inklusion – vor allem in der radikalen Form – setzen. Jemand hat mal gesagt: Diesen Menschen schwebt etwas Wunderbares vor. Es ist so wunderbar, wie es nur im Paradies sein kann. Doch in der Wirklichkeit sind die Voraussetzungen etwas anders. Vielleicht sollten wir auch sie verbessern. Doch zunächst setze ich mich dafür ein, dass wir in der gegebenen Situation zwar das Bestmögliche, aber nichts Unrealistisches erwarten. Schon bei „normalen“ Kindern gibt es ein großes Spektrum. Das ist jedoch etwas anderes als bei Kindern mit besonderem Förderbedarf. Hier muss man besondere Konzepte anwenden.

Haben Sie denn auch Gemeinsamkeiten entdeckt?
Ich glaube, es liegt uns beiden am Herzen, jedem einzelnen Schüler eine möglichst gute Entwicklung zu ermöglichen. Nur auf welchem Weg wir dahin kommen, dazu haben wir unterschiedliche Einschätzungen.

Andrea Schöne

Porträt einer jungen, kleinwüchsigen Frau mit halblangen Haaren und Brille

Ich heiße Andrea Schöne. Ich bin Studentin, Journalistin und Beraterin im Bereich inklusive Schule. Ich wurde selbst an einer Regelschule unterrichtet. Das war nicht so einfach, weil man mir viele Steine in den Weg gelegt hat, um bis zum Abitur zu kommen. Daher liegt mir das Thema sehr am Herzen. Ich möchte, dass die Kinder heute nicht die gleichen Probleme haben müssen wie ich sie hatte.


Gab es während des Drehs Momente, die Sie sehr überrascht oder nachdenklich gemacht haben?

Nein, mich haben die Aussagen und Zitate nicht wirklich überrascht. Die Aussage des jungen Mannes ganz am Ende habe ich als eine Ironie des Schicksals empfunden. Genau das Gleiche habe ich auch erlebt: Man hat mir höchstens die Hauptschule, nicht aber das Gymnasium zugetraut. Darüber musste ich schon grinsen. Das beweist doch, dass ich kein Einzelfall bin.

Ist Ihnen im Nachhinein etwas eingefallen, das Sie gerne noch gesagt hätten?
Ich hätte gerne noch etwas gesagt zu dem plakativen Fall, dass ein mehrfach schwerbehindertes Kind angeblich überhaupt nicht in die inklusive Schule passt. Ich wäre gerne mehr auf andere Lernmöglichkeiten eingegangen. Es geht nicht darum, dass am Ende jedes Kind das Gleiche kann. Sondern es geht darum, sich in der Schule zu entwickeln. Schulleistung ist nicht gleich Schulnoten. Sondern es geht um Persönlichkeitsentwicklung. Aber das war nicht so einfach, weil mein Gegenüber viele Studien und Beispiele aus NRW zitiert hat. Ich bin aus Bayern. Und von Bundesland zu Bundesland gibt es durchaus Unterschiede. Ich weiß aus meinem regionalen Umfeld einfach mehr.

Gibt es etwas, das Sie heute gelernt haben? Haben Sie neue Perspektiven entdeckt?
Die Argumente gegen inklusive Schule kannte ich eigentlich schon. Beim Punkt Personal und Kosten gab es eine Annäherung zwischen Herrn Felten und mir. Doch von diesem Punkt aus gingen unsere Argumentationen in gegensätzliche Richtungen. Das finde ich eigentlich schade. Herr Felten hat eine andere Lebenswelt als ich. Er begründet auch den Begriff Norm wissenschaftlich ganz anders als ich. Aber auch ich bin eine Realität in dieser Welt. Und ich bin auch nicht die einzige Person mit Behinderung. Dementsprechend bin ich Teil der Norm. Darum geht es bei Inklusion: Jeder Mensch ist normal und niemand ist irgendwie anders. Man muss mit Mitmenschen auf Augenhöhe sprechen und versuchen, sich in die andere Lebenswelt einzufühlen. Zu sehen: So wie ich lebe, müssen nicht alle anderen leben.

Was war der größte Unterschied zwischen Ihren Positionen?
Ich bin für eine inklusive Gesamtschule und im Gegensatz zu Herrn Felten auch dafür, das Gymnasium abzuschaffen. Ich habe als Erste in meiner Familie studiert. Daher kenne ich auch diese Perspektive: Das Gymnasium schließt nicht nur behinderte Kinder aus, sondern auch nicht behinderte Kinder, die keinen akademischen Hintergrund in der Familie haben. Es ist unheimlich schade und auch peinlich, dass Deutschland es nicht schafft, diesen Unterschied wett zu machen in der Schule. Man sollte nicht nur über behinderte Kinder in der Regelschule reden, sondern grundsätzlich über alle Kinder. Man sollte jedes Kind nach seinen Möglichkeiten fördern. Inklusion ist keine Gleichmacherei, wie Herr Felten meinte. Sondern Inklusion heißt individuelle Förderung im Sinne von Chancengleichheit. Jedem so viel an Chancen wie möglich zu geben.

Gab es noch Gemeinsamkeiten – außer beim Aspekt Personal und Kosten?
Herr Felten fand es schade, dass ich solche Probleme in der Schule hatte. Ihm ist erst Laufe des Gesprächs klar geworden, dass ich zum Gymnasium gegangen bin und Abitur gemacht habe. Das zeigt zum einen wieder das Problem der unterschiedlichen Lebenswelten. Zum anderen finde ich es aber schade, mir das Gymnasium gar nicht erst zuzutrauen. Herr Felten sagt, er setzt sich für Schüler*innen ein, die Probleme beim Lernen haben. Damit meint er wahrscheinlich die sogenannten lernschwachen Schüler*innen ohne Behinderung am Gymnasium. Warum weitet er das nicht aus auf alle Kinder? Warum dieser verengte Blick auf die Lebenswelt von Menschen? Ich glaube, wenn er mehr Kontakt mit behinderten Menschen hätte, dann würde sich seine Meinung durchaus auch ändern können. Sein Interesse an meinem Studium in Bologna war zum Beispiel ziemlich groß. Er war auch schon mal in Bologna und es hat ihm dort gut gefallen. Privat haben wir durchaus einen Kontakt zueinander gefunden. Schade, dass wir nicht über diese andere Stufe hinweg kommen.

Ein Mann in höherem Erwachsenenalter und eine junge, kleinwüchsige Frau sitzen nebeneinander in einem Studio

Willkommen in der Streitbar

Die Streitbar ist eröffnet! Zwei Menschen suchen Streit – und finden echten Dialog.
Ein Mann in höherem Erwachsenenalter hält eine Rede

Er kämpft für weniger: Michael Felten

Seine Überzeugung zieht er aus einem langen Berufsleben.
Eine junge, kleinwüchsige Frau mit Laufrad auf einer Wiese

Sie kämpft für mehr: Andrea Schöne

Ihre Position beruht auf den eigenen Erfahrungen.