Faktencheck
Im Gespräch stellen unsere Streitbar-Kandidat*innen so manche These auf: Etwa: Die Inklusionsquote steigt. Oder: Förderschule sind nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Aber stimmt das? Wir haben es überprüft.
Die rot-grüne NRW-Landesregierung (1995 – 2005) unter Leitung von Bildungsministerin Sylvia Löhrmann wollte Inklusion an Schulen in NRW flächendeckend umsetzen. Die Art der Umsetzung sorgte für breite Ablehnung. Inklusive Schulversuche in NRW in den 1980er und 1990er Jahren waren aber sehr erfolgreich. Studien beweisen, dass Inklusion an Schulen unter den richtigen Rahmenbedingungen funktioniert. Gute Beispiele sind die Marie-Kahle-Gesamtschule in Bonn und die Martinschule in Greifswald.
Quellen
Landesregierung NRW (2012): Aktionsplan NRW inklusiv (Stand 25.04.2022).
Die Inklusionsquote an den Regelschulen steigt zwar, aber die Zahl der Kinder an Förderschulen bliebt fast gleich. Wo kommen also die zusätzlichen Kinder mit Förderbedarf an den Regelschulen her?
Eine Vermutung: Bei jungen Menschen wird in den letzten Jahren häufiger als früher ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert. In den einzelnen Bundesländern variieren diese Größen teilweise stark.
Quellen
Aktion Mensch: Inklusionsquoten in Deutschland
Lange, Valerie: Inklusive Bildung in Deutschland, Ländervergleich. Friedrich-Ebert-Stiftung, 2017
Klaus Klemm; Unterwegs zur inklusiven Schule. Lagebericht 2018 aus bildungsstatistischer Perspektive. Bertelsmann Stiftung, 2018
Auf Förderschulen ist der höchstmögliche Bildungsabschluss meistens das Fachabitur – nur in wenigen Ausnahmen ist das Abitur möglich. 73 Prozent der Schüler*innen haben die Förderschule im Schuljahr 2019/2020 ohne jeden Abschluss verlassen.
Ein Beispiel für eine der wenigen Förderschulen, auf der man auch das Abitur machen kann, ist die LVR-Anna Freud Schule in Köln.
Quellen
LVR -Anna Freud Schule in Köln
Jaqueline Hansen und Katharina Heisig: Mit intensiver Betreuung zum regulären Schulabschluss. ifo Institut Dresden, 6/2018
Im Auftrag der Deutschen Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention wurde ein Rechtsgutachten zur Überprüfung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionen angefertigt. Dieses Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Förderschulen mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar sind und abgebaut werden sollten.
Quellen
Vereinte Nationen: Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
Seit der Einführung der UN-BRK hat noch kein Land ein vollständig inklusives Schulsystem erreicht. Allerdings zeigt der Vergleich mit anderen Ländern, dass einige bereits wesentlich weiter sind als Deutschland.
Quellen
UNESCO-Weltbildungsbericht 2020: Inklusion und Bildung: „Für alle heißt für alle“
Andreas Köpfer, Justin J.W. Powell Raphael Zahnd (Hrsg.): Handbuch Inklusion international Globale, nationale und lokale Perspektiven auf Inklusive Bildung, Budrich, 2021
Erst seit 2001 ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) rechtlich anerkannt und kann somit an Schulen als Form der Kommunikation unterrichtet werden. Dennoch besitzen viele Lehrkräfte, die an Förder- oder auch Regelschulen unterrichten, nicht die Kompetenz, den Unterricht in DGS abzuhalten.
Wenn Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung Erfahrungen mit Inklusion und inklusiver Bildung an der Schule machen, steigt bei ihnen die Akzeptanz für das Thema.
Quelle
„Wie Eltern Inklusion sehen: Erfahrungen und Einschätzungen.“ Studie der Bertelsmann Stiftung, 2015
Die Elternvertreter*innen an den Schulen mit Inklusion in Nordrhein-Westfalen sehen laut einer Umfrage Probleme in der Umsetzung von Inklusion. Die von der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag in Auftrag gegebene Studie wurde von Prof. Bernd Ahrbeck durchgeführt.
Quelle
Ahrbeck, B.; Fickler-Stang, U.; Friedrich, S.; Weiland, K.: Befragung der Elternvertreterinnen und Elternvertreter zur Umsetzung der Inklusion in Nordrhein-Westfalen. Forschungsbericht. Berlin 2015
Zu beiden Perspektiven der Protagonist*innen gibt es bezüglich der Begriffe und Definitionen von „Norm“, „Normalität und „Diversität“ in der Wissenschaft entsprechende Ansätze und Diskurse.
Quelle
1971 hat Italien gesetzlich festgelegt, dass auch Schüler*innen mit einer Beeinträchtigung an Regelschulen unterrichtet werden. Mit seinem inklusiv angelegten Schulsystem unterscheidet sich Italien grundlegend von Schulsystemen mit Sonderschulen. Für Kinder mit Förderbedarf werden individuelle Lernziele festgelegt und sie haben das Recht auf zusätzliche Integrationslehrkräfte, die sie dabei unterstützen, diese Ziele zu erreichen. Diese Lehrkräfte sind meist nicht für bestimmte Förderbedarfe ausgebildet, sondern sind generell inklusiv geschult. Deshalb ist die genaue Diagnose und die Form des Förderbedarfes politisch irrelevant.
Quellen
Aktion Mensch: Italien - ein Musterland?
Julia Peterlini: Das Recht auf „effektiven“ Unterricht in den Regelklassen von Menschen mit Behinderung und dessen Verwirklichung in Italien und Südtirol. In „Recht der Jugend und des Bildungswesens – RdJB“, 1/2015