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Italien - ein Musterland?

Streitbar-Teilnehmerin Andrea Schöne hat als Studierende an der Universität Bologna gute Erfahrungen mit inklusiver Bildung gemacht. Was könnte Deutschland von Italien lernen?

Italien gilt weltweit als Vorreiter und Vorbild inklusiver Beschulung. Bereits 1977 wurden im Zuge einer progressiven Schulreform nahezu sämtliche Sonderschulen und Sonderklassen – bis auf Einrichtungen für Blinde und Gehörlose - abgeschafft. Heute werden hier über 99 Prozent aller Kinder gemeinsam beschult. In Deutschland sind es inzwischen rund 43 Prozent.

Inklusion beschlossen und gemacht

Inklusion in der Bildung konnte sich in Italien wohl auch deshalb durchsetzen, weil im Vorfeld nicht groß darüber diskutiert wurde. Es wurde beschlossen und gemacht – ungeachtet schwieriger Bedingungen vor allem in der Anfangszeit. Die tiefgreifende Reform war nicht zuletzt eine Reaktion auf einen großen  Bildungsnotstand. Noch bis in die 1960-er Jahren beendete ein Großteil der italienischen Schüler*innen – vor allem in der Landbevölkerung – den Bildungsweg nach fünf Jahren Grundschule. Kinder mit Behinderung wurden oft gar nicht zur Schule geschickt. Mit der ersten großen Reform 1962, die eine bis heute praktizierte gemeinsame Beschulung der sechs- bis 14-Jährigen einführte, war bereits ein erster Schritt in Richtung auf Integration vollzogen.

Wenn Italien heute auf über vier Jahrzehnte schulische Inklusion zurückblickt, dann war dies auch eine Zeit des Learning-by-Doing. Vieles wurde Schritt für Schritt ausgelotet, erprobt und angepasst. Dennoch gibt es immer noch Verbesserungsbedarf. Das betrifft vor allem die Ausbildung und Verfügbarkeit von Inklusionsfachkräften. Zwar sollten den Lehrer*innen an italienischen Schulen Sozialpädagog*innen und Mitarbeiter*innen für Integration zur Seite stehen. Wegen des Fachkräftemangels bleiben viele entsprechende Stellen jedoch unbesetzt. Zudem herrscht unter den Fachkräften eine hohe Fluktuation.

Eine junge, kleinwüchsige, lachende Frau in einer italienischen Gasse

Inzwischen hat Italien den Inklusionsbegriff erweitert und neben der Einbeziehung körperlicher oder geistiger Einschränkungen auch auf emotionale und soziale Entwicklung, Sprache und kulturellen Hintergrund ausgedehnt. Das bringt neue Anforderungen an Schulpolitik, Lehrkräfteausbildung und Unterrichtsgestaltung mit sich. Schüler*innen haben in Italien das Recht auf einen auf ihre Lernvoraussetzungen abgestimmten individuellen Bildungsplan, an dessen Erstellung Eltern oder Erziehungsberechtigte, Klassenlehrer*innen, Fachkräfte und gegebenenfalls die Schüler*innen selbst mitwirken. Sie haben auch das Recht auf eine individuelle Bewertung, einen differenzierten Schulabschluss sowie auf spezielle Lernmaterialien, und wo nötig, auf einen  Schülertransport.

Von Italien lernen

Fest steht: Bei der Umsetzung schulischer Bildung können andere Länder viel von Italien lernen. Neben dem Fachkräftemangel bleibt dort bislang allerdings ein weiteres großes Problem ungelöst: Nach der Schulausbildung haben Menschen mit Behinderung in Italien weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz als in den meisten anderen europäischen Ländern.

Eine Schülerin hält einem Schüler im Rollstuhl eine Tür im Flur auf
Blick in ein Klassenzimmer mit älteren Schüler*innen mit und ohne Behinderung

Für diejenigen, die tiefer ins Thema einsteigen wollen: Eine ausführliche und kritische Darstellung des inklusiven Schulsystems in Italien gibt Edith Brugger in ihrem Beitrag „Die Integration von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung in einem inklusiven Bildungssystem am Beispiel Italien – Südtirol “.

Faktencheck

Es wird viel behauptet, wenn zwei sich streiten. Wir haben einige Argumente beider Seiten aus dem Streitgespräch nochmal nachgeprüft.

Weitere Infos zum Thema 

Für alle, die tiefer in des Thema schulische Inklusion einsteigen möchten, haben wir hilfreiche Links zu weiterführenden Informationen zusammengestellt.