Das wir gewinnt

Wahlprogramme im Check: Was die Parteien in Sachen Inklusion und Teilhabe versprechen

Die Bundestagswahlen sind für Menschen mit Behinderung und andere Minderheiten von großer Bedeutung. Schließlich sind die politischen Rahmenbedingungen entscheidend dafür, ob und wie gleichberechtigte Teilhabe in einer diversen Gesellschaft tatsächlich gelebt werden kann. Die Journalistin Karina Sturm hat sich angeschaut, was die sechs im Bundestag vertretenen Parteien – CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und AfD – in ihren Wahlprogrammen zum Thema Inklusion und Teilhabe sagen.
Bald stehen die Bundestagswahlen 2021 an. Vielen Wahlberechtigten geht es vielleicht ähnlich wie mir: Ich weiß noch nicht so recht, welche Partei mich am besten vertritt. Oft fühle ich mich überfordert von all den Versprechen, die Politiker*innen machen, und frage mich, was denn eigentlich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien sind. Es ist nicht einfach, sich zu orientieren und eine Wahlentscheidung zu treffen. Aber es ist sehr wichtig. Schließlich haben Veränderungen in der Arbeits-, Gesundheits-, oder Bildungspolitik direkten Einfluss auf den Alltag von Menschen mit Behinderung und anderen Minderheiten. Ich habe mir angeschaut, was welche Partei für diese Gruppen geplant hat – oder ob es überhaupt entsprechende Pläne gibt. In den folgenden Absätzen habe ich die Ergebnisse für euch zusammengefasst.
Logo der CDU.

CDU/ CSU

Die CDU/CSU hat sich zum Ziel gesetzt einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen. Dabei sollen Menschen in Werkstätten unter anderem besser bezahlt werden. Für den Schienenverkehr ist Barrierefreiheit vorgesehen. Laut Wahlprogramm wird außerdem ein barrierefreier Zugang zu Medien für alle möglich gemacht. Das Selbstbestimmungsrecht pflegebedürftiger Menschen soll gestärkt werden, sodass eine eigenständige Entscheidung der gepflegten Person zum Wohnort möglich ist.

Zur vollständigen Analyse.

Logo der SPD.

SPD

Die SPD möchte einen sozialeren Arbeitsmarkt einführen. Im Bildungssektor sollen insbesondere digitale Unterrichtsformen für mehr inklusive Bildung sorgen. Mit einem Bundesprogramm Barrierefreiheit  möchte die Partei unter anderem erreichen, dass mehr Wohnraum und Freizeiteinrichtungen barrierefrei gemacht werden. Weiter möchte die SPD das Gleichbehandlungsgesetz reformieren, individuelle Bedürfnisse von Frauen und Kindern stärker berücksichtigen und die Antidiskriminierungsstellen des Bundes stärken.

 

Zur vollständigen Analyse.
Logo der Grünen.

Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen möchten unter anderem mehr Weiterbildungsangebote fördern. Eine Enquete-Kommission soll für mehr Inklusion, Selbstbestimmung und gleichberechtigt Teilhabe sorgen. Für Menschen in Werkstätten soll der Mindestlohn eingeführt werden. 
Ein Bundesinklusionsgesetz soll öffentliche und private Anbietende zu Barrierefreiheit verpflichten. Krankenhäuser sollen weniger privatisiert werden und sich am Wohl des Patienten ausrichten. Im Zuge dessen soll auch die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bekämpft werden.

Zur vollständigen Analyse.

Logo der FDP.

FDP

Auch die FDP möchte bessere Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen, vor allem für diejenigen, die in Werkstätten arbeiten. Zudem ist die Förderung von Barrierefreiheit im öffentlichen Raum ein zentraler Fokus. In ihrem Wahlprogramm spricht die FDP von mehr barrierefreiem Wohnraum und der Entbürokratisierung des Gesundheitssystems. Mithilfe eines Diversity Managements sollen Diversitätsquoten ersetzt werden, wozu auch Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragte gehören. 

Zur vollständigen Analyse.

Logo der Linken.

Die Linke

Im Wahlprogramm Der Linken ist die Überflüssigkeit von Förderschulen und Werkstätten festgehalten. Der Nahverkehr soll für Menschen mit Behinderung kostenlos und flächendeckend barrierefrei sein. Außerdem sollen mehr einkommens- und vermögensunabhängige Leistungen für Menschen mit Behinderungen und Chronische Krankheiten geschaffen werden. Frauen mit Behinderung soll mehr Unterstützung bei der Elternschaft zustehen. 

Zur vollständigen Analyse.

Logo der AfD.

AfD

Die AfD nennt in ihrem Wahlprogramm als Ziel mehr Arbeitsplätze und faire Entlohnung für Menschen mit Behinderung. Dazu sollen Arbeitgeber*innen mit einem Bonussystem motiviert werden Menschen mit Behinderung einzustellen. Es soll soziale Assistenzen für Menschen mit Behinderungen geben, damit sie in Krankenhäusern besser versorgt werden. Allerdings sollen Sozialleistungen nicht mehr auf ausländische Konten überwiesen werden. Heil- und Hilfsmittel sollen einfacher zu bekommen sein. Antidiskriminierungsgesetze, die Geschlechterquote sowie Gleichstellungsbeauftragte und Gender Studies lehnt die AfD ab. 

Zur vollständigen Analyse.

Wen wählen?

Keine Partei hat einen ausführlichen Plan für Menschen mit Behinderungen. Doch im Vergleich zu den Europawahlen scheinen sie alle leichte Fortschritte gemacht zu haben. Genug? Vermutlich nicht.

Selten wird überhaupt genauer erklärt, wie man mehr Selbstbestimmung oder Barrierefreiheit erreichen will. Doch zumindest wird Behinderung in jedem Wahlprogramm erwähnt und – bis auf die AfD – verspricht zumindest jede der anderen Parteien, die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum, in den Verkehrsmitteln und in Wohnungen zu verbessern. Zudem wird bei den Parteien – außer bei der AfD – auch vermehrt auf Diversität gesetzt, was die Menschen unterstützt, die zusätzlich zu ihrer Behinderung noch zu einer anderen Minderheit gehören. Das ist wichtig, weil diese Personen in mehr als einem Bereich auf Barrieren, Diskriminierung und Unverständnis stoßen.

Gibt es eine passende Partei für mich?

Das hängt wie immer ganz von den persönlichen Prioritäten ab. Und es gibt ja auch noch andere wichtige Themenbereiche wie die Haltung der Parteien in Fragen des Klimaschutzes, der Außen- oder Wirtschaftspolitik, die hier nicht behandelt wurden. Man sollte auch nicht vergessen, dass all diese Wahlprogramme am Ende nur Versprechen sind, die – wie wir alle wissen – nicht immer unbedingt so ausgeführt werden, wie sie in der Theorie geplant waren. Zumal die Regierung meist aus einer Koalition zwischen verschiedenen Parteien besteht, die natürlich einen Mittelweg finden müssen – einen Kompromiss aus allen verschiedenen Vorstellungen. Doch es ist ganz klar, dass manche Parteien generell offener für Inklusion und Diversität sind als andere.

Mit meinen 35 Jahren hatte ich tatsächlich – peinlicherweise – noch nie alle Wahlprogramme im Detail durchgelesen. Doch dieses Jahr wollte ich es genau wissen. So habe ich nun mehrere Stunden damit verbracht, mir zu überlegen, welche Partei meine Werte am meisten repräsentiert und meine Wünsche und Hoffnungen am ehesten umsetzen wird. Oft ist mir dabei aufgefallen, dass für mich als Mensch mit Behinderung aufgrund einer chronischen Erkrankung eine Mischung mehrerer Parteien wohl am besten wäre. Keine erfüllt alle meiner Vorstellungen. Wen ich wähle, weiß ich daher noch nicht. Doch eines weiß ich ganz genau: Wen ich auf gar keinen Fall möchte! Und das ist ein Anfang!

Behinderung ist vielschichtig und komplex, weshalb in unserer recht großen Minderheit genauso viel Diversität, unterschiedliche Wünsche, Vorstellungen und Meinungen vertreten sind wie in der nicht behinderten Gesellschaft auch. Daher gilt für uns alle die Empfehlung: wählt gut informiert, wählt selbstbestimmt, wählt basierend auf euren individuellen Werten und dann lasst uns hoffen, dass die Welt dadurch barrierefreier und inklusiver wird! Und wenn keine Partei unsere Rechte ausreichend vertritt, dann bleibt nur eines: sich selbst zu engagieren. 

Karina Ulrike Sturm

Mehr Informationen

Welche Partei passt in Themen wie Inklusion und Teilhabe zu mir? Mithilfe der Wahlhilfe WAHLTRAUT kann dies, ähnlich wie beim Wahl-o-mat, auf einfachem Weg abgeglichen werden. Hier geht es zu Wahlberaterin WAHLTRAUT .


Weitere interessante Informationen rund um die Bundestagswahl in Leichter und Schwerer Sprache finden Sie in unserer Linksammlung.

 

Eine Frau mit einem schwarzen Hut steht vor einem Zaun
Karina Ulrike Sturm

Über die Autorin

Karina Ulrike Sturm hat Journalismus in Edinburgh, Schottland, studiert. Mit einem Fokus auf Medizin, Wissenschaft, chronische Krankheit und Behinderung schreibt sie akademische Publikationen für Fachzeitschriften, Feature-Artikel und Reportagen für diverse deutsche und amerikanische Zeitungen und bloggt leidenschaftlich in ihrem zweisprachigen Blog. Karina Sturm liebt Hunde, Heavy Metal, das Meer und Essen aus aller Welt.