"Bist du behindert, oder was?!"
Vom Schulhof oder in anderen Situationen im Alltag kennt ihr vielleicht die Schimpfwörter: „Du Krüppel!“, „Spasti!“, „Mongo!“ oder die Frage „Bist du behindert, oder was?“. Klar, merkt ihr selbst, diese Wörter können verletzen. Und jetzt stellt euch vor, ein Mensch mit einer Behinderung hört diese Wörter…
Oft ist es uns ja gar nicht bewusst, dass wir mit bestimmten Wörtern jemanden verletzten könnten. Aber viele Leute, die mit einer Behinderung leben, finden es schade, dass das Wort „behindert“ oft in einem negativen Zusammenhang z.B. als Schimpfwort verwendet wird. Dann denkt man automatisch bei behinderten Menschen eher an Leute, die irgendwie anstrengend sind oder nerven können.
Worte in Bildern
"Seid kreativer bei euren Beleidigungen!"
Es hängt auch nicht nur an den Wörtern, sondern auch ob man überhaupt miteinander zu tun hat. Viele wissen einfach nicht, wie sie sich richtig gegenüber jemandem verhalten sollen, der durch körperliche oder kognitive Beeinträchtigungen den Alltag aus einer anderen Perspektive erlebt. Viele würden es aber gerne besser machen. Wir haben junge Frauen und Männer mit Behinderungen gefragt, welche Sätze sie oft hören, und was sie Leuten ohne Behinderung so empfehlen:
Zwei Situationen sind typisch: Wenn ich z.B. mit Freunden durch die Stadt gehe, und ein anderer Rollstuhlfahrer kommt uns entgegen, höre ich immer wieder: "Hey Constantin, wer war das eben?" Als ob ich jeden anderen Rollstuhlfahrer persönlich kennen würde! Oder: Als jemand mal beim Tischtennis spielen erst spät bemerkte, dass ich nicht laufen kann, meinte er: "Steh nicht im Weg und spiel vernünftig mit. Oder bist du behindert?" Ich sagte: "Ja" und er war ziemlich verdutzt. Mein Tipp: Lasst doch einfach den Zusatz “bist du behindert?” weg und seid kreativer bei euren Beleidigungen.
Nicht doof, nur etwas anders.
Manchmal kommt es aber auch gar nicht erst zum Gespräch, weil manche Leute ohne Behinderung zu viel Angst haben, etwas falsch zu machen. Vielleicht trauen sie dem anderen auch nicht so viel zu, vermutet zum Beispiel Angela Fritzen vom Ohrenkuss-Magazin:
Mich stört: Wenn mich einer anstarrt. Weil ich das Down-Syndrom habe. Manche denken dann, dass ich doof bin. Sie sehen nicht, dass ich alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Dass ich kochen kann. Dass ich Englisch lerne. Dass ich eine Ausbildung schon längst hinter mir habe. Dass ich schon jahrelang Saxophon und Basketball spiele. Dass ich mit meinem Freund zusammen bin, mit dem ich mich verloben will. Ich wünsche mir: Sie würden mich normal angucken – und nicht auf das Down-Syndrom. Wenn ich in den Spiegel gucke, gefällt mir mein Gesicht.
"Verständlich – so oder so"
Es ist eh so, dass viele Leute mit Behinderung ihre Dinge selbst erledigen wollen und können, und nicht immer gefragt werden möchten, ob sie Hilfe brauchen. Wenn’s aber so aussieht, dass eine Unterstützung passt, kann man einfach mal nachfragen: Zum Beispiel das Mädchen im Rollstuhl, ob man kurz die Tür aufhalten soll oder den blinden Jungen, ob er eine Wegbeschreibung braucht. Auf jemanden zuzugehen funktioniert besser, als in sich hinein zu grübeln oder sich sogar zu ärgern, warum sich der andere „irgendwie komisch benimmt“. Vielleicht spricht die eine langsamer oder der andere geht anders mit Dingen um. Wenn man nicht nur sein Schema durchzieht, sich etwas einlässt, versteht man sich auch – und bekommt vielleicht eine ganz einfache Erklärung…
Ich saß bei der Ärztin und wurde mehrmals aufgerufen, und ich merkte es nicht. Und als alle zu munkeln anfingen, kam eine Arzthelferin verärgert her, und ich deute an, dass ich nicht hören kann, sie so: Du kannst ja herkommen, aber nicht zu reagieren - das geht nicht. Was ich besser fände: Wenn sie merken, dass ich nicht hören kann, brauchen sie nicht so verärgert sein, und mich anzuschreien, in der Hoffnung, dass ich es verstehe. Ich hatte ja mehrmals darauf hingewiesen, dass ich es nicht hören konnte. Auch mit einem Hörgerät höre ich es nicht, egal wie laut man sein mag.
“So hübsch, trotz Behinderung!”
Neugier ist gut, aber manche erleben, dass sie sogar sehr persönliche Fragen gestellt bekommen, die man Leuten, die man nicht gut kennt, eigentlich so nicht stellen würde. Gerade Mädchen und Frauen mit Behinderung hören in Flirtsituationen manchmal merkwürdige Komplimente, die eher unbeholfen statt charmant wirken...
Ich höre oft, was für ein hübsches Gesicht ich habe. Und dann kommt immer so ein Zusatz zu dem Kompliment: "Wenn dir schon kein einwandfreier Körper geschenkt wurde, hast du wenigstens ein schönes Gesicht." Oder "Nicht jeder ist mit so einem hübschen Gesicht gesegnet wie du, man kann aber nicht alles haben." Besser wäre: ein Kompliment nur auszusprechen, wenn man es ohne Einschränkung auch so meint.
“Ist dein Freund auch…?”
Auch die Vorstellung, dass Menschen mit Behinderung schon mal eine Beziehung hatten oder auch eine Partnerin oder einen Partner ohne Behinderung haben, können sich viele nicht vorstellen. Dabei kennt Liebe ja keine Grenzen...
Sobald ich neue Menschen kennenlerne und irgendwann meinen Freund erwähne, kann ich fast immer bis Zehn zählen und dann kommt diese eine Frage: „Und, äh, ist der auch, äh, klein?!“ Genau. Weil, was anderes geht ja nicht. Braunhaarige können auch nicht mit Blonden zusammen sein. Wo kämen wir da hin? Mir ist das total wumpe, ob mein Freund groß oder klein ist. Hauptsache, er kann kochen. Das kann ich nämlich nicht.
“Lasst doch mal über was anderes reden...“
Viele Menschen mit Behinderung fänden es auch toll, nicht immer nur davon zu erzählen, wie sie ihren Alltag mit Behinderung meistern. Es gibt ja doch noch Spannenderes, zum Beispiel Musik...
Ich höre des Öfteren: "Was ich mich bei Ihnen schon immer gefragt habe ist, wie machen Sie das morgens mit den Socken und wie ziehen Sie sich die Schuhe an?“ Und sage dann: "Ich mach das mit links! Die Leute sollten aufhören sich zu fragen, wie ich meinen Alltag bewerkstellige. Die Tatsache, dass ich vor ihnen sitze, komplett angezogen, (mit Socken und Schuhen) sollte doch Beweis genug sein, dass ich einen Weg gefunden habe mich anzukleiden. Es gibt wesentlich interessantere Fragen, zum Beispiel: "Woher kommen die Ideen für deine Texte?"
Also: Am besten locker bleiben, und dran denken, dass es gar nicht so viele Unterschiede zwischen Leuten mit und ohne Behinderung gibt. Der Ausweg aus der Unsicherheit: Einfach mehr zusammen erleben, sich unterhalten, etwas unternehmen. Dann ergeben sich neue Fragen und Antworten von ganz allein...
Text: Lilian Masuhr
Lilian ist Journalistin in Berlin und bei den SOZIALHELDEN leitet sie das Projekt Leidmedien.de,das sich für eine neue Berichterstattung über behinderte Menschen einsetzt.
Illustration: Adina Hermann
Die Berliner Grafikerin und Illustratorin gehört zum Team der SOZIALHELDEN.
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