Der Rechts-Aussteiger: „Hey! Ich bin das nicht mehr“
Material zur Arbeit mit Jugendlichen zum Thema "Anderssein"
Vorurteile ohne Ende
Felix ist jetzt 28 Jahre alt und ein sogenannter Aussteiger. Nach zehn Jahren als aktiver Neonazi machte er vor vier Jahren Schluss mit seiner rechtsextremen "Karriere“. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits einige Monate im Gefängnis verbracht, war deutschlandweit als rechter Liedermacher bekannt. Und hatte Vorurteile ohne Ende: "'Der Jude' ist gierig. 'Der Schwarze' ist faul.“ In der abgeschotteten Nazi-Welt gehörte es dazu, immer neue Vorurteile anzunehmen. Das machten um ihn herum ja alle.
Sich mit den vergangenen Taten auseinanderzusetzen, ist ein unumgehbarer Schritt.
Foto: Jonas Nolden
Einmal Nazi - immer Nazi?
Klingt nach einem ziemlich radikalen Wandel. Aber geht das überhaupt: Seinen jahrelang gehegten Hass mal eben so über Bord werfen? "Für uns steht außer Frage, dass der Mensch sich entwickeln kann“, sagt Fabian Wichmann von Exit-Deutschland. Der 34-Jährige begleitet Menschen wie Felix, die die rechtsextreme Szene verlassen wollen – und sich aus eigener Initiative an ihn und seine Kollegen wenden.
Ein Mensch kann sich immer ändern, wenn er anfängt, seine Einstellungen kritisch zu hinterfragen.
Foto: privat
Seit der Gründung von Exit haben sie schon über 500 Aussteigern geholfen. "Diese rechtsextremen Einstellungen sind ja nicht genetisch bedingt. Sowas entsteht, um nur einige Faktoren zu nennen, durch persönliche Erfahrungen und Umstände, das soziale Umfeld“, erklärt Fabian Wichmann. "Ein Mensch kann sich immer ändern, wenn er anfängt, seine Einstellungen kritisch zu hinterfragen.“
Deshalb schauen sich die Begleiter von Exit diese Einstellungen und Verhaltensweisen an und arbeiten daran. Wo muss man gemeinsam ansetzen, damit der- oder diejenige sich weiterentwickeln kann? Das passiert zum Beispiel in unzähligen Gesprächen, in denen man etwa von Nazis erzählte Geschichten auseinandernimmt, lernt zu hinterfragen. Auch bei Umzug, Arbeitssuche und Behördengängen hilft die Organisation. Denn oft bedeutet der Ausstieg einen umfassenden Neuanfang. Ziemlich wichtig sei, so Fabian Wichmann, sich ein stabiles Umfeld aufzubauen, in dem man akzeptiert wird.
Kein leichter Schritt. Fabian Wichmann weist nämlich daraufhin, dass auch Aussteiger oft Vorurteilen ausgesetzt seien, wenn Menschen ihnen einen solchen Wandel gar nicht zutrauen. Nach dem Motto: "Einmal Nazi, immer Nazi“. Genauso klar ist für den Exit-Mitarbeiter allerdings auch, dass man die Täter nicht zu Opfern machen sollte: Aussteiger müssten sich der Kritik stellen und sich ihr Leben lang mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Zusätzlich müsse man sich dann ein dickes Fell zulegen und sollte nicht den Anspruch haben, dass man überall mit offenen Armen empfangen wird: "Man darf sich nicht die Illusion machen, dass einem alles vergeben wird“.
"Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist"
Felix kennt dieses Gefühl, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen. Gerade zu Beginn des Ausstiegs war das schwer. Wenn jemand seinen Namen bei Google eingegeben hat, war dort nur von ihm als Neonazi zu lesen. Dabei war es ihm doch so wichtig, allen zu erklären, dass er sich geändert hatte: "Hey! Ich bin das nicht mehr!“
Heute ist das anders. Zwar sind die Geschichten aus seiner Vergangenheit bei Google nicht gelöscht, aber es sind neue dazugekommen: über sein Engagement gegen Rechts. Heute spricht er über seine Vergangenheit, um aufzuklären. "Sich mit den vergangenen Taten auseinanderzusetzen, ist ein unumgehbarer Schritt im Ausstiegsprozess“, erzählt er. Sein schlechtes Gewissen gilt heute vor allem denen, die sich für eine offenere Gesellschaft einsetzen und deshalb damals unter seinen Aktionen zu leiden hatten.
"Immer wieder komme ich in Situationen, in denen ich denke: Wow. Selbst jemandem wie mir wird hier mit Respekt begegnet. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Toleranz und Offenheit sind positive Werte unserer Gesellschaft, die leider nicht immer und nicht überall gelebt werden. Aber es lohnt sich, sie zu verteidigen.“
Text: Imke Emmerich