"Die Menschen im Netzwerk sind entspannter im Projektverlauf"

Der Berater für Netzwerkarbeit und Inklusionsvorhaben Stefan Burkhardt erklärt, weshalb Netzwerke von Projektbeginn an in die Fördermittel-Akquise investieren sollten.

 

Sie raten inklusiven Netzwerken und Projekten dringend dazu, Fördermittel-Kompetenz aufzubauen: Sie sollen sich so viel Wissen wie möglich darüber verschaffen, wie sie Projekte weiter finanzieren können. Warum ist das so wichtig?

Das Dilemma vieler Netzwerke und Projekte ist: Die Akteurinnen und Akteure sind während der Projektlaufzeit vor allem mit der Umsetzung beschäftigt. Wenn die Förderlaufzeit zu Ende geht, beginnen sie, nach einer Weiterfinanzierung zu suchen. Nur lässt sich ein Folgeantrag nicht mal eben schnell stellen, und Fördergeld-Gebende lassen sich nicht ohne Weiteres spontan finden und ansprechen. Deshalb ist mein Appell: Kümmern Sie sich von Anfang an um die Fördermittel-Akquise. Eine möglichst unkomplizierte Weiterfinanzierung ist am ehesten möglich, wenn Sie sich in dem Bereich eine gute Wissensgrundlage aufgebaut haben. Oft kümmert sich die Projektleitung oder die Netzwerkkoordination neben ihren vielen anderen Aufgaben auch um die Fördermittel-Akquise. Die Projektleitung hat aber meistens nur wenig Zeit dafür.

Wer sollte die Fördermittel-Suche übernehmen?

Netzwerke können diese Aufgabe gut an ehrenamtliche Unterstützer*innen abgeben. Ich stelle immer wieder fest, dass die Suche nach Förderprogrammen und Fördermitteln eine attraktive Aufgabe für Menschen ist, die sich in einem Netzwerk engagieren möchten, dafür aber nur begrenzt Zeit haben und diese Arbeit gern zu Hause oder flexibel unterwegs leisten möchten. Zudem gibt es viele Menschen, die Spaß daran haben, zu bestimmten Aufgaben und Themen im Internet zu recherchieren. Mit ihnen lässt sich vereinbaren, dass sie ein bis zwei Stunden in der Woche in die Recherche von Förderquellen investieren: im Internet nach Förderprogramme suchen, in Stiftungsdatenbanken recherchieren.

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?

Wer diese Aufgabe ebenfalls übernehmen kann: hauptamtliche Ressourcen-Manager*innen in einem Netzwerk. Diese Personen sind ausschließlich dafür zuständig, Ressourcen für das Netzwerk und seine Aktivitäten und Projekte zu sammeln. Mit der Zeit sind sie so auf Ressourcen spezialisiert, dass sie auch die systematische Recherche nach Fördermitteln gut leisten können. Mein Tipp: Wenn Verbände, Vereine oder Initiativen ein Projekt beantragen, können sie die Stelle der Fördermittel-Sucherin oder des Fördermittel-Suchers auch als eine Art Projektassistenz direkt in den Projektantrag schreiben, beispielsweise als Minijob. Eine weitere Möglichkeit ist es, dafür eine Person zu gewinnen, die bereits im Netzwerk aktiv ist. Das kann eine hauptamtliche Mitarbeiterin eines Netzwerkpartners sein, die sich für das Thema Fördermittel-Akquise fit machen möchte. Ich empfehle im übrigen, diese Aufgabe in Teams oder Netzwerken rotieren zu lassen, beispielsweise alle sechs oder zwölf Monate. So lässt sich vermeiden, dass die Kompetenz nur bei einer Person angesiedelt ist. Denn wenn diese Person das Netzwerk verlässt, ist die Kompetenz nicht mehr vorhanden und Sie fangen im Grunde wieder von vorn an. Wichtig ist, dass die Verantwortlichen das Projektteam oder das Netzwerk regelmäßig über ihre Funde informieren. Das könnte beispielsweise ein fester Tagesordnungspunkt in Sitzungen werden, als „Förderempfehlungen des Monats“.

Porträt von Stefan Burkhardt

Als Experte für Beratung und Begleitung Sozialer Arbeit, Fördermittel-Akquise und Prozessbegleiter bei Kommune Inklusiv unterstützt Stefan Burkhardt inklusive Netzwerke in ganz Deutschland.

Ein Mann hält einen Vortrag vor einer Gruppe von Menschen

Wie sollte die Stelle Ihrer Erfahrung nach optimalerweise besetzt sein: ehrenamtlich oder hauptamtlich?

Beide Möglichkeiten haben ihre Vorteile. Wenn es aber von den Ressourcen her in Ihrem Netzwerk möglich ist, besetzen Sie die Aufgabe hauptamtlich. Ich berate und begleite in Norderstedt das Netzwerk Inklusion & Innovation Norderstedt. Gleich zu Anfang der neuen Projektförderung 2020 haben wir im Netzwerk die Aufgabe Fördermittel-Akquise vergeben, um mittelfristig Fördermittel-Kompetenz aufzubauen. Eine hauptamtliche Mitarbeiterin hat sich kontinuierlich fit gemacht: Sie nimmt an Qualifizierungen zum Thema Förderung teil, sie recherchiert in Stiftungsdatenbanken und schaut insbesondere nach lokalen Förderern. Außerdem berate ich sie online und gebe ihr weitere Informationen und Tipps. Im Netzwerk berichtet sie regelmäßig, beispielsweise: „Ich habe ein Förderprogramm gefunden, das genau für unsere Ziele passt.“ So bekommen die Netzwerkpartner*innen Anregungen, in welche Richtung sie ein mögliches Folgeprojekt entwickeln oder das Netzwerk als Ganzes weiterentwickeln könnten.

Wie wirkt es sich auf die Stimmung im Netzwerk aus, wenn es eine Person mit Förderwissen gibt?

Meine Erfahrung ist: Die Menschen im Netzwerk sind entspannter im weiteren Projektverlauf. Sie merken: Es kümmert sich jemand. Und sie sehen: Es gibt vielfältige Möglichkeiten der Finanzierung, die das Netzwerk nutzen könnte. Die Stelle beziehungsweise diese Aufgabe ist sehr positiv besetzt: Menschen mit Fördermittel-Kompetenz sind beliebt im Netzwerk, denn sie stehen für Ideen, Sicherheit und Zukunft.

Wie gehen Fördermittel-Sucher*innen am besten vor?

Entweder suchen die Verantwortlichen ganz allgemein danach, welche Förderprogramme und welche Stiftungen für das Netzwerk passen könnten. Also nach Zielgruppen, Handlungsfeldern oder sozialräumlichen Bedarfen des Netzwerks. Darüber entstehen häufig Ideen für neue Projekte im Netzwerk oder im Team: Wenn die Aktiven sehen, welche Aspekte, welche Ziele, Methoden oder Maßnahmen gefördert werden könnten, gibt das Impulse. Oder die Fördermittel-Sucher*innen recherchieren nach speziellen neuen Schwerpunkten, also zum Beispiel zum Thema inklusive Stadtteilentwicklung oder außerschulische inklusive Jugendarbeit. Dazu empfehle ich, frühzeitig mit der regelmäßigen Reflexion der Netzwerkarbeit zu beginnen. Schauen Sie immer wieder auf die Wirksamkeit Ihrer Netzwerk- und Projektarbeit, darauf, wie sich die Bedarfe der Menschen möglicherweise verändern oder welche neue politischen Herausforderungen es gibt. Durch diese Erkenntnisse ergeben sich automatisch neue Recherche-Aufträge für mögliche Fördermittel.

Ist die Suche nach Fördermitteln eine reine Online-Recherche?

Nicht nur. Persönliche Kontakte zu knüpfen, kann zusätzlich bei der Orientierung im Fördermittel-Dschungel helfen. Das geht beispielsweise auf Stiftungstagen. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen veranstaltet einmal im Jahr den Deutschen Stiftungstag. Auch auf Landes- und regionaler Ebene finden Stiftungstage statt. Es gibt unter anderem Stiftungstage in Köln, Hamburg, Berlin, Dortmund, Kassel oder Frankfurt. Bei diesen Veranstaltungen stellen Stiftungen sich immer wieder auch der Öffentlichkeit vor und laden zum Austausch ein. Ich habe den Besuch des Deutschen Stiftungstag mal in einem Seminar empfohlen. Ein halbes Jahr später schrieb mir ein Seminarteilnehmer aus Wilhelmshaven, dass das für ihn der beste Tipp in Sachen finanzielle Nachhaltigkeit für seine Organisation gewesen sei. Er habe in den Arbeitskreisen auf dem Stiftungstag viele wichtige Kontakte geknüpft. Die haben ihm Türen in Stiftungen geöffnet und das Interesse von Stiftungen an der Arbeit seiner Organisation geweckt. Davon profitiert seine Organisation seit Jahren.

Wie bleibt das Wissen zur Finanzierung und Förderung im Netzwerk?

Wichtig ist, dass das Netzwerk die mit der Zeit immer umfangreicheren Informationen übersichtlich dokumentiert. Das kann ein Text-Dokument oder eine Tabelle sein. Hilfreich sind auch Cloud-Programme wie GoogleDocs. Besonders empfehlenswert sind aus meiner Sicht online-basierte Instrumente wie Padlet, TaskCards, Conceptboard, Mural oder Miro. Diese funktionieren wie eine digitale Pinnwand, auf die über einen Link alle Beteiligten Zugriff haben. Der Vorteil ist, dass sich die Informationen übersichtlich ablegen und unkompliziert aktualisieren und ergänzen lassen. Denn es ist wichtig, dass sich die Nutzer*innen gern mit einem solchen Instrument befassen und sich gut darin zurechtfinden.

Der Aufbau von Fördermittel-Kompetenz ist also viel Arbeit.

Ja, Recherche und Dokumentation von Förderwissen brauchen Zeit und Geduld. Doch für Netzwerke lohnt es sich: Wer von Projektbeginn an in die Fördermittel-Akquise investiert, erntet mit der Zeit die besten Finanzierungsmöglichkeiten.

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