"Machen Sie sich für die Kommune unentbehrlich"
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Rheinland-Pfalz und Kommune Inklusiv-Akteurin Mechthild Gerigk-Koch gibt Tipps, wie Sie in der Kommune Unterstützung für Ihr Inklusionsvorhaben finden.
Wenn ich möchte, dass Verwaltung und Politik mein Inklusionsvorhaben unterstützen: Was ist der erste Schritt?
Meiner Erfahrung nach gibt es ein großes Interesse in Politik und Verwaltung, engagierte Bürger*innen zu unterstützen, wenn sie gute Ideen vortragen. Zunächst müssen Sie aber klären: Was genau wollen Sie erreichen? Oftmals gehen Menschen mit dem Ansinnen auf die Kommune zu: Da stimmt was nicht, und wir wollen, dass die Kommune etwas anders macht. Das kann mit Gefühlen wie Enttäuschung oder Ärger verbunden sein, wofür ich Verständnis habe. Aber diese Gefühle sollten Sie nicht davon abhalten, genau zu überlegen, was das Ziel des eigenen Engagements oder der Weg dahin ist. Wenn Sie etwas erreichen und andere Menschen für Ihr Vorhaben begeistern möchten, dann müssen Sie sehr klare Vorstellungen davon haben, was, für wen und wie Sie es erreichen wollen: Schlagen Sie Lösungen vor. Ihre Ziele, Ihr Vorhaben und Lösungen sollten sie in möglichst einfachen Worten darstellen. Schreiben Sie sie auch auf. Das ist wichtig für andere Partnerinnen und Partner im Netzwerk: Wer neu dazukommt, soll sich schnell und umfassend informieren können. Außerdem sind solche Grundsatzpapiere die Visitenkarte für Ihr Netzwerk, zum Beispiel, wenn Sie Kontakt mit Lokalpolitikerinnen oder Mitarbeitern der Verwaltung aufnehmen möchten. Machen Sie sich außerdem klar, mit welchen Begriffen Sie überhaupt arbeiten wollen: im Netzwerk und in der Kommunikation mit der Kommune.
Welche Begriffe meinen Sie?
Sie sollten beispielsweise klären, was Sie unter Inklusion verstehen. Meinen Sie Inklusion im weiten Sinne, wie bei Kommune Inklusiv? Wollen Sie mit Ihrem Vorhaben also alle Menschen in der Kommune erreichen? Als Leiterin der Arbeitsgruppe für die Entwicklung einer Inklusionsstrategie in der Verbandsgemeinde Nieder-Olm habe ich für diesen weiten Ansatz geworben. Denn damit lässt sich das Problem der Konkurrenz zwischen verschiedenen Trägern und Interessenvertretungen innerhalb der Kommune vermeiden: Konkurrenz um Ressourcen, um Aufmerksamkeit, um politische Bedeutung, um Kontakte. Ich kann mit dem weiten Ansatz mehr Partnerinnen und Partner an Bord holen und sagen: Wir streiten gemeinsam für Inklusion. Wir bewerben uns zusammen um die Ressourcen, die in einer Kommune begrenzt sind.
Eine gute Vernetzung mit anderen Akteur*innen in der Kommune ist also wichtig, bevor ich auf Entscheider*innen zugehe.
Ja, unbedingt. Schauen Sie sich sehr genau an, wer in der Kommune in Ihrem Thema oder in angrenzenden Themenfeldern bereits unterwegs ist. Nehmen Sie mit ihnen Kontakt auf, holen Sie sie an Bord. So verhindern Sie, dass Sie mit einer tollen Idee durch eine Tür gehen und Ihnen gesagt wird: „Sie sind gar nicht unsere Verhandlungspartner*in, ich mache ein ähnliches Projekt mit einem anderen Verband.“ Sie sollten wissen, was andere soziale Akteure in Ihrer Kommune machen. Wichtig ist eine Bestandsaufnahme: Wer sind Schlüsselpersonen in Ihrem Themenfeld? Recherchieren Sie: Welche Vereine, Verbände, Interessengruppen gibt es und wer ist in welchem Verein oder welcher Interessengruppe? Sprechen Sie die Akteur*innen an. Der eine sagt dann vielleicht: Oh, ich selbst mache in dem Themenbereich nichts, doch ich kenne Person X, die in dem Bereich ein Projekt gestartet hat. Und dann sprechen Sie mit Person X. Die sagt Ihnen wiederum, mit welchen anderen Menschen sie zusammenarbeitet. Und so geht es weiter. Am Anfang steht ein unglaubliches Jagen und Sammeln von Informationen. Wenn Sie all diese Infos als Ernte nach Hause getragen haben, werten Sie sie aus: Wer hat Bedeutung? Wessen Wort hat Gewicht? Wer ist Meinungsführerin oder Meinungsführer? Wer hat Kontakt zu Entscheiderinnen und Entscheidern in der Kommune? Wen sollte ich für mein Vorhaben gewinnen? Auf diese Menschen gehen Sie zu, stellen sich und Ihr Vorhaben vor, bitten sie um Unterstützung oder holen sie im besten Fall als Partnerinnen und Partner in Ihr Netzwerk.
Wie erreiche ich, dass kommunale Vertreter*innen mein Netzwerk mit all diesen Expert*innen an Bord auch als kompetenten Ansprechpartner wahrnehmen?
Durch professionelles Handeln. Dazu gehört, dass Sie flexibel bleiben und sich bewusst machen: Sie erreichen Ihre Ziele nicht mit einem Sprung, sondern es ist ein Prozess. Sie gehen Schritt für Schritt von Kompromiss zu Kompromiss. Sie befinden sich in einer andauernden Verhandlungsposition: Sie geben etwas und dann geben auch Ihre Verhandlungspartner*innen in der Kommune etwas. Das können politische Entscheidungen in Ihrem Sinne sein, Zustimmung zu Bauprojekten, kommunale Finanzmittel, die Sie für Personal brauchen. Es kann auch der Kontakt zur Bürgermeister*in sein oder die Zusage, dass Sie Ihr Vorhaben in Rats-Ausschüssen vorstellen dürfen. Damit Sie das von der Kommune bekommen, müssen Sie Ihren Verhandlungspartner*innen etwas anbieten, das für sie attraktiv ist. Versuchen Sie sich mit Ihrem Wissen, Ihrem Können, Ihren Kontakten für die Kommune unentbehrlich zu machen.
Haben Sie dafür Beispiele?
Die Kommune möchte barrierefreier werden? Ihr Netzwerk steht als Partner mit Expert*innenwissen zur Verfügung. Oder Sie finden ein Förderprojekt auf Bundes- oder Landesebene. Sie gehen auf Ihre Ansprechpartner*innen in der Verwaltung zu und werben dafür, dass die Kommune sich dort engagiert. Die Verwaltung braucht dafür eine*n Projektpartner*in aus dem sozialen Bereich? Ihr Netzwerk steht zur Verfügung. Machen Sie deutlich: Sie haben Erfahrung mit solchen Förderanträgen, Sie wissen, wie die Fristen sind und wie die Formulare ausgefüllt werden. Zeigen Sie, dass Sie Expert*innen sind, die solide Arbeit machen. Verwaltungsleute möchten, dass Aufgaben reibungslos und mit guten Ergebnissen durch die Verwaltungsebenen laufen. Im besten Fall erkennt der kommunale Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin: „Das Netzwerk liefert mir Informationen, mit denen ich gute Vorlagen schreiben kann. Und wenn ich mal was wissen muss, muss ich nicht selbst aufwändig recherchieren: Ich brauche nur zum Hörer zu greifen."