Kongressthema: Digitalisierung und Teilhabe
Künstliche Intelligenz und technologischer Fortschritt
Zu den Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) sagt Vertr.-Prof. PD Dr. Bastian Pelka von der Technischen Universität Dortmund, dass sie viele Barrieren beseitigen könne. Zum Beispiel indem Produkte intelligenter gemacht werden oder indem man Texte automatisch in Leichte Sprache übersetzen lassen kann. Bei vielen Geräten wird die KI schon bald nicht mehr wegzudenken sein. Sie ist ein ganz normaler Teil der Digitalisierung geworden. Aber natürlich berge sie auch Gefahren für die Teilhabe, so Pelka: Zum Beispiel ist sie so teuer, dass sie sich nicht jeder leisten können wird. Dort müssen wir als Gesellschaft eine Antwort finden.
In der technologischen Fortentwicklung, die sich hinter dem Begriff der Digitalisierung verbirgt, stecken wie bei jeder Technologie eine Menge Chancen und Risiken, meint Prof. Bertolt Meyer von der Technischen Universität Chemnitz. Denn in den Versprechen von neuen Technologien hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Beeinträchtigungen auszugleichen, steckte auch eine Verengung des Inklusionsdiskurses: „Wir nennen das den solutionistischen Diskurs, der impliziert, dass man eigentlich große gesellschaftliche Probleme durch eine neue Technologie und vielleicht noch dazu einen Businessplan lösen könnte.“ So zum Beispiel, dass man Hilfsmittel nutzt, und damit sei das Thema Behinderung vom Tisch. Inklusion werde dann vermeintlich nicht mehr benötigt. So schränke ein technologiegetriebener Diskurs häufig die Sicht auf andere Möglichkeiten zur Teilhabe ein. Denn für echte Inklusion, so Meyer, brauche es ein breites gesellschaftliches Bündnis, eine soziale Bewegung und am Ende auch einen politischen Willen.
Videos von Expert*innen
Insgesamt gestalteten rund 150 Referent*innen das vielfältige Programm des Kongresses mit. Einige von ihnen haben uns am Rande der dreitägigen Veranstaltung kurze Interviews gegeben. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Stöbern und Anschauen!
Künstliche Intelligenz diskriminiert und muss diverser programmiert werden! (…) Mein Wunsch wäre, dass es uns gelingt, durch die Digitalisierung die Gesellschaft insofern zu verändern, dass Menschen, die weniger gesehen werden, eine Plattform erhalten und damit mehr gesellschaftliche Teilhabe zu gewinnen.
Künstliche Intelligenz braucht unheimlich viel Geld. (…) Wenn wir über marginalisierte Menschen oder über Menschen mit Behinderung sprechen, stellt sich die Frage: Haben wir genug Geld, um uns schlaue Software und intelligente Produkte leisten zu können? Das ist sehr wichtig. Ich denke, dass wir als Gesellschaft darauf eine Antwort finden müssen.
Ergebnisse aus drei Workshops zum Thema "Digitalisierung und Teilhabe"
Künstliche Intelligenz (KI) kann nicht nur Fragen beantworten, sondern auch ganze E-Learning-Kurse kreieren. Und zwar in wenigen Minuten. Das Tool dazu ist schon erfunden. Nun konnte der Prototyp im Workshop erstmals getestet werden.
Erfinder und Entwickler Jonas Jung hat dazu eine kurze Einleitung gegeben und das Tool vorgestellt. Er arbeitet bei BIRNE7, einem Verein aus Erlangen, der technische Lösungen für mehr Inklusion entwickelt und den er mit gegründet hat.
Nach der Vorstellung verteilen sich die Teilnehmenden in drei Gruppen. Jede Gruppe überlegt sich ein Thema und schreibt eine entsprechende Gliederung für einen E-Learning-Kurs. Wie man diese Gliederung am besten erstellt: Dazu gibt es eine Schritt-für-Schritt-Anleitung im Tool. Diese Gliederungen haben sich die Workshopleiter angeschaut. Sie wollten entscheiden, ob sie für die KI gut auswertbar sind. Das Ergebnis: Zunächst waren sie zu umfangreich und mussten ein bisschen angepasst werden.
Ralf Oesterreich ist Sozialraum-Manager bei der Stadtverwaltung Erfurt. Er hat das Tool in Auftrag gegeben und freut sich über neue niederschwellige Angebote für den Sozialraum. Silvio Schwarz ist Fachreferent beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. (CJD) und war ebenfalls an der Entwicklung beteiligt. Ob die Kurse den Erwartungen der Menschen entsprechen, wussten die drei Machern vorher nicht. Der Workshop diente als Denk- und Experimentierraum.
Die Gruppen an den drei Tischen waren sehr unterschiedlich. Für die drei Projektmacher war das ein großes Glück. So konnten sie mögliche Fallstricke erkennen und für die Zukunft beheben. Fragestellungen, die das KI-Tool in Zukunft bearbeiten und lösen kann, sind zum Beispiel: Wie lege ich eine eigene Mailadresse an? Wie nutze ich bestimmte technische Hilfsmittel? Was ist mit Digitalisierung gemeint? Je nach Bedarf entstehen Kurse mit Anleitungen, Checklisten, Videos und Bildern.
Der einzige Knackpunkt für die Entwickler: Schon um das KI-Tool zu nutzen, braucht es bestimmte Grund-Kenntnisse. Die sollen in Zukunft vorab in einem Projekt vermittelt werden. Es lohnt sich, denn Lernmanagement-Systeme sind schon jetzt weit verbreitet. Wenn die Kurse da sind, werden sie aber von der eigentlichen Zielgruppe nur wenig genutzt. Das soll sich jetzt ändern, indem die Zielgruppe schon in die Entwicklung einbezogen wird.
Es gibt viele gute Beispiele, wie Partizipation gelingt. Leider werden sie nicht oft genug kopiert, meint Matthias Schug, Projektleiter beim AWO Bundesverband e.V.. Daher haben er und seine zwei Kolleginnen drei gute Beispiele für den Workshop mitgebracht:
- Das Projekt „DigiTeilhabe – Inklusives Engagement und digitale Nachbarschaft“ soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderung verbessern. Durch ehrenamtliche Beratungsangebote im Quartier werden Zugänge ins Digitale erleichtert. Auch Multiplikator*innen mit Behinderung vermitteln digitale Kompetenzen und machen Mitbestimmung greifbar.
- Das „Seniorennetz“ der AWO Berlin informiert als digitale Plattform über Teilhabemöglichkeiten vor Ort und fördert damit Begegnungen und Aktivitäten. Eine digitale Karte bietet einen Überblick zu Freizeit-, Kultur- und Bildungsangeboten für ältere Menschen. Die Plattform ist einfach zu bedienen. Wer für den Anfang dennoch Hilfe braucht, kann einen Tablet-Kurs vor Ort besuchen.
- Das Beteiligungsprojekt „BestPart“ des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig e.V. möchte die Partizipation von Menschen mit seelischer Behinderung fördern. Es richtet sich an Menschen, die ein Recht auf Eingliederungshilfe haben. Sie sollen ihre Rechte mittels personenzentrierter Assistenzleistung einfordern können. Sie, aber auch Mitarbeitende, Angehörige und Kostenträger sollen ein gemeinsames Verständnis von Teilhabe entwickeln können. Moderierte Fokusgruppen unterstützen dabei.
Nach den drei Projekt-Vorstellungen tauschten sich die Teilnehmenden in einem Worldcafé über eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit digitalen Tools für mehr Teilhabe aus. Es ging natürlich auch um die speziellen Bedarfe von Menschen mit Behinderung. Für Matthias Schug, Projektleiter des Projekts „DigiTeilhabe – Inklusives Engagement und digitale Nachbarschaft“ beim AWO Bundesverband e.V., ein sehr guter Austausch. Einige der Kontakte haben seitdem Bestand und münden in neuen Projekten.
Forum: Zugang für alle: Digitale Teilhabe gemeinsam gestalten
Zum Start des Forums gibt es zunächst eine aktivierende Kennenlern- und Aufwärmphase. Welche Chancen und Risiken Digitalisierung bergen kann, wird in der darauf folgenden Diskussion deutlich.
Ina Fischer ist Beraterin für digitale Barrierefreiheit. Als blinde Frau sind digitale Tools ihr Alltag, sagt sie. Viele gute Beispiele kommen ihr zufolge aus den USA, weil dort Barrierefreiheit schon lange verpflichtend ist. Prof. Michael Schäfer vom fablab der Hochschule RuhrWest erzählt, dass man einige Hilfsmittel, die man sonst nur aus dem Sanitätshaus bekommt, mittlerweile mit einem 3-D-Drucker selbst herstellen kann.
Einige Möglichkeiten zur digitalen Teilhabe befinden sich gerade in der Entwicklung, werden aber von der Zielgruppe kritisch gesehen. Zum Beispiel seien Gebärdensprach-Avatare noch nicht so weit, menschliche Gebärdensprach-Dolmetschende zu ersetzen. Davon erzählt Ina Fischer, die bei dem Modellvorhaben Kommune Inklusiv in Erlangen viel Kontakt zu gehörlosen Menschen hat. Tina Denninger, die Behindertenbeauftragte von Potsdam, gibt zu bedenken, dass es immer eine Abwägung zwischen Fortschritt und Perfektion geben müsse. So würden die Avatare auf der Homepage verschiedener Städte eingesetzt, um Informationen möglichst barrierefrei zu machen. Anders sei es aus Kostengründen nicht möglich.
Digitale Technologien mit neuen, verbesserten oder günstigeren Produkten sollten immer für mehr Teilhabe sorgen. Es gibt aber auch die Gefahr, dass bestehende barrierefreie Angebote verdrängt werden.
Auch für Übersetzungen in Leichte Sprache gibt es mittlerweile ein Tool, das auf künstlicher Intelligenz basiert. Produziert wurde es 2022 von dem Tech-Start-Up Summ AI. Mit Hilfe von Künstlichen Intelligenz (KI) kann man Inhalte schnell und günstig in leichte, verständliche Sprache bringen, erklärt Vanessa Theel, Mitgründerin von Summ AI.
Man kann Dokumente hochladen oder in ein Textfeld einfügen. Sie werden dann automatisch in Leichte Sprache gebracht, und zwar nach den offiziellen Regeln des Netzwerks Leichte Sprache e.V.. Auch für das Anlegen eines Glossars gibt es eine automatische Funktion. Und natürlich kann man die entstandenen Texte nachher selbst weiter bearbeiten. So können Übersetzer*innen das Tool als Hilfsmittel einsetzen. Es soll aber auch von der Zielgruppe selbst genutzt werden können. Nur bei Behördentexten gibt es noch eine Grenze: Die sind oft zu wenig eindeutig und können nicht gut übersetzt werden. Insofern ist KI auch hier kein Allheilmittel. Vanessa Theel empfiehlt daher für Kommunen, dass je eine Person für Leichte Sprache zuständig sein sollte.
Ulrike Schloo von „Schneverdingen inklusiv“ ehemals „Kommune Inklusiv“ Schneverdingen bringt ältere Menschen ins Spiel. Diese seien von der Digitalisierung und Smart Homes meist überfordert. Der Aktivist Christian Bayerlein stimmt ihr zu: Hier wären Herde mit Knöpfen tatsächlich besser als solche mit Touchscreens. Insgesamt seien die Menschlichkeit und das Verständnis für Behinderung wichtig. So seien Pflegeroboter trotz allen Personalmangels sicherlich nicht die Lösung für die Zukunft. Man dürfe solche digitalen Angebote nicht auf das medizinische Modell reduzieren, sonst laufe man Gefahr, in den Ableismus abzurutschen. Das wichtigste Ziel von Digitalisierung ist und bleibt die Selbstbestimmung.
Matthias Schug vom AWO Bundesverband betont, dass es auch analoge Räume brauche, um Digitalisierung durch und mit den Menschen zu erlernen. Das muss niederschwellig sein, und es sollte auf jeden Fall auch Freude machen! In Erlangen gab es zum Beispiel einen Handykurs für Senior*innen, erzählt Ina Fischer. Das Ergebnis war eine WhatsApp-Gruppe für den weiteren Austausch und in Kontakt bleiben aller Teilnehmer*innen. Das Begegnungsangebot im Vorfeld und persönliche Kennenlernen war aber dafür die Grundlage.
Christian Bayerlein resumiert den Austausch als wertvoll und inspirierend. Eine seiner Erkenntnisse: „Digitale Technologien mit neuen, verbesserten oder günstigeren Produkten sollten immer für mehr Teilhabe sorgen. Es gibt aber auch die Gefahr, dass bestehende barrierefreie Angebote verdrängt werden.“ Auch bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen müsse digitale Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht werden.