Kongressthema: Demokratie und Beteiligung
> Gesellschaftlicher Zusammenhalt vor Ort und Teilhabe an der Demokratie
> Podiumsdiskussion: Veränderung gestalten
> Die Relevanz der UN-BRK
> Die Rolle der Wohlfahrt in Krisenzeiten
> Ergebnisse der Workshops zu Demokratie und Beteiligung
> Podiumsdiskussion: Blick zurück nach vorn
> Gespräch: Sozialräumliche Veränderung erforschen
> Forum Demokratie und Beteiligung
Videos von Expert*innen
Insgesamt gestalteten rund 150 Referent*innen das vielfältige Programm des Kongresses mit. Einige von ihnen haben uns am Rande der dreitägigen Veranstaltung kurze Interviews gegeben. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Stöbern und Anschauen!
Film „Lost Places – Oder wo ist der Zusammenhalt?“
Gesellschaftlicher Zusammenhalt vor Ort und Teilhabe an der Demokratie
Angelina Göb vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) geht auf die Krisen unserer Zeit ein: „Krisen sind Herausforderungen für den Zusammenhalt, weil sie unsere Gesellschaft polarisieren.“ Orte, an denen Nachbar*innen zusammenkommen können, wirkten hingegen wie eine Inklusions-Maschine.
Warum sind so viele Menschen demokratiemüde? Und was können wir dagegen tun? Claudine Nierth vom Verein „Mehr Demokratie“ betont, dass Menschen es brauchen, wahrgenommen zu werden und selbst Dinge gestalten zu können. Darauf müssen wir in der Gesellschaft achten. Hinter den unterschiedlichen Positionen stehen oft Bedürfnisse. Daher ist es wichtig, einander zuzuhören. Bürgerbeteiligung kann Menschen zusammenbringen und Brücken schlagen.
Sie nennt das Beispiel eines neuen Gefängnisses in Baden-Württemberg: Das Land suchte dafür einen Standort und fand einen geeigneten Ort in der Gemeinde Tuningen. In einem ersten Bürgerentscheid haben sich die Bürger*innen dagegen entschieden. Der nächste Bürgerentscheid in Esch war offener formuliert. Diesmal wurden die Bürger*innen am neu gefundenen Standort gefragt, ob dort ein Gefängnis gebaut werden solle. Eine Begleitgruppe mit Befürworter*innen und Kritiker*innen führte zuvor sachliche Gespräche mit Bürger*innen und klärte auf. Am Ende stimmten die Bürger*innen für den Bau des Gefängnisses. Dieses Beispiel zeige, wie Bürgerbeteiligung Menschen zusammenbringen und Brücken schlagen kann.
Podiumsdiskussion
Rund eine Stunde lang diskutieren die Gäste auf der Bühne zum Thema „Veränderung gestalten, Beteiligung aller sichern, Krisen lösungsorientiert bewältigen – wie geht das?“. Hier einige wichtige Statements zum Thema „Demokratie und Beteiligung“
Wir brauchen eine resiliente Demokratie. Demokratie muss wehrhaft sein, demokratische Regeln bewahren und lernfähig sein. Wir sind Demokratie – ohne uns gibt es keine Demokratie.
Interview mit Paulina Fröhlich - Das Progressive Zentrum
Was uns fehlt, ist eine positiv konnotierte Zukunftsvision. Wir müssen demokratische Prozesse positiv emotionalisieren. Das dürfen wir nicht den rechten Parteien überlassen.
Die Relevanz der UN-BRK
Die UN-Behindertenrechtskonvention im Alleingang umsetzen? Das geht nicht, dazu braucht es auch die Verwaltung, sagt Prof. Albrecht Rohrmann. Er ist Professor für Sozialpädagogik an der Universität Siegen. Im Zentrum für Planung und Entwicklung Sozialer Dienste (ZPE) beschäftigt er sich mit der UN-BRK und ihrer Umsetzung in Kommunen. Eine der wichtigsten Gelingensbedingungen ist, dass die Inhalte der BRK in die Strukturen vor Ort eingebunden werden. So nehme die Verbindlichkeit zu, sagt Rohrmann.
Insgesamt habe die UN-BRK 2009 eine Aufbruchsstimmung ausgelöst. Mittlerweile herrsche eher ein Gefühl der Erlahmung vor. Wichtig sei, dass auch weiterhin Menschen für die Umsetzung der UN-BRK kämpften. Planungsprozesse und Maßnahmenkataloge seien dabei ein Vorteil, denn so setze die öffentliche Diskussion ein. Auch die Politik müsse ihren Gestaltungsraum nutzen. Denn die Umsetzung der UN-BRK ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Und auch die Spitzenverbände sollten dabei mitmachen, so Rohrmann.
Zweiter Kongresstag: Die Rolle der Wohlfahrt in Krisenzeiten
„1924 ist die Wohlfahrtspflege in schwierigen Zeiten entstanden“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Dr. Joachim Rock in seinem Input am zweiten Tag des Kongresses. Schon damals sei es eine ihrer Aufgaben gewesen, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Und so sei es auch heute wieder.
Ein anderes wichtiges Anliegen ist ihm die Beteiligung von Menschen mit Behinderung an der Wohlfahrtsarbeit. Bisher seien sie oft in Beiräten eingesetzt. Sie sollten aber regelhaft als Expert*innen in eigener Sache in die Strukturen der Wohlfahrtspflege eingebunden werden und dort feste Stellen haben. Insgesamt müsse Inklusion noch viel mehr als bisher eine Verpflichtung im Sozialstaat sein, so dass die Menschen nicht mehr so sehr um Unterstützung kämpfen müssten. Die Gesetze seien schon gut. Aber Recht haben sei das eine, es durchzusetzen etwas ganz anderes.
Nach dem Auftakt im Plenum laufen in drei Runden insgesamt 33 Workshops. Entsprechend sind die Gruppen kleiner und es gibt viel Austausch zwischen Macher*innen aus den verschiedensten Bereichen.
Ergebnisse aus drei Workshops zum Thema Demokratie und Beteiligung
Hauptamtliche Kräfte treffen in der Inklusionsarbeit häufig auf ehrenamtlich Engagierte. Durch unterschiedliche Erfahrungen, Enttäuschungen und unklare Zielsetzungen liegen Erfolg und Frustration in Projekten manchmal nahe beieinander. Enttäuschungen seien oft enttäuschte Erwartungen, sagt Thomas Kruse, Organisationsentwickler bei der matrix GmbH. Deshalb sei es so wichtig, dass man von Anfang an klärt, was man meint, wenn man von „Veränderung“ spricht. Die Teilnehmenden tauschen sich über Veränderungsprozesse und Erfahrungen in ihren Projekten aus. Dabei wird deutlich: Wenn die übergeordnete Ebene nicht mit im Boot ist, wird es für Projekte und Prozesse schwierig.
Thomas Kruse schlägt verschiedene Methoden vor, um Veränderungsprozesse zu begleiten, zum Beispiel:
- Index für nachhaltige (Inklusions-)Arbeit: Hier sollen die Dimensionen der Praxis, der Kultur und der Struktur gleichwertig bearbeitet werden. Dafür ordnet man die neuen Ideen einer davon zu. Danach überlegt man, was man in den anderen Dimensionen tun kann, um die Ideen nachhaltig auszurichten.
- Werte-Arbeit: Die Gruppe erkennt Zusammenhänge, indem sie sich ihrer Grundannahmen und Überzeugungen in Bezug auf ein Thema bewusst wird. In Stillarbeit schaut jede*r auf die eigenen Werte und was ihnen zugrunde liegt. Im dritten Modul geht es darum, eine Balance zwischen den Werten zu finden.
- Wertschätzendes Interview: Um aus den Ressourcen der Vergangenheit zu schöpfen, schauen die Teilnehmenden, was in ihrer Organisation schon gut läuft. Die Kernthemen der Gegenwart werden deutlich, wenn sie sich klarmachen, wo sie konkret schon eine besonders offene und glaubwürdige Zusammenarbeit erlebt haben. Und die wünschenswerte Zukunft wird klar, wenn man nach den Schlüsselfaktoren sucht, die der Organisation Kraft und Vitalität geben. Und wie man sie für alle nutzbar machen kann.
Junge Menschen beteiligen sich wenig an demokratischen Strukturen. Das zeigt die Studie der Aktion Mensch „Inklusionsbarometer Jugend“ aus dem Jahr 2024. Die Gründe dafür sind vielfältig. Viele Jugendliche sagen, sie hätten kein Interesse oder keine Zeit für Engagement. Manche trauen sich aber auch nicht oder denken, sie passten nicht hinein. Und einige wenige haben bereits schlechte Erfahrungen gemacht und sich deshalb zurückgezogen. Gutes Projektmanagement kann dafür sorgen, dass sich mehr junge Menschen beteiligen können. Denn Inklusion ist ein Menschenrecht, und ohne Beteiligung kann sie nicht verwirklicht werden.
Im Workshop zeigen Lena Groh-Trautmann von der Servicestelle Jugendbeteiligung e.V. sowie Silke Niemann und Katrin Rosenthal von der Aktion Mensch, wie wichtig es ist, den Jugendlichen mehr Zugänge zu ermöglichen. Inklusive Angebote brauchen eine bestimmte Haltung, personelle und finanzielle Ressourcen und natürlich den Mut, Dinge auszuprobieren. Damit wirklich alle dabei sein können, müssen Barrieren abgebaut werden. Räumlich, aber auch inhaltlich und digital. Wichtig ist auch der Austausch darüber, wie man die Jugendlichen am besten erreicht: Einerseits über die sozialen Medien, aber auch vor Ort, zum Beispiel in Dönerbuden und Jugendtreffs.
Wenn Menschen sich nicht beteiligen können, ist die Gefahr groß, dass sie sich abwenden. Das ist der Grundgedanke des Projekts „Give something back to Berlin“ aus Berlin-Neukölln. Es macht Menschen mit Zuwanderungsgeschichte von Dienstleistungs-Empfänger*innen zu Anbieter*innen.
Nun gibt es Kochtreffs, Musikkurse und Sprachcafés, Yoga und Kunst. Über Geld wird nicht gesprochen, um niemanden auszuschließen. Jeden Monat gibt es etwa 80 Aktivitäten, die kostenlos und ohne Sprachbarrieren stattfinden. Das Projekt ist rein spendenfinanziert und arbeitet mit Nicht-Regierungs-Organisationen zusammen.
Viele Ehrenamtliche unterstützen den Verein. Sie erfahren meist über Mund-zu-Mund-Propaganda von dem Projekt und möchten helfen. Die Workshop-Teilnehmenden denken darüber nach, warum das Projekt so erfolgreich ist und arbeiten drei Punkte heraus:
- Die Kurse und Aktionen haben eine universelle Sprache. Jede*r kann mitmachen.
- Die Angebote sind unverbindlich. Die Teilnehmenden verpflichten sich zu nichts.
- Für die Anbieter*innen der Kurse ist das Projekt Empowerment pur – und ein Sprungbrett in die Gesellschaft.
Podiumsdiskussion: Blick zurück nach vorn
Die Stadt Mölln in Schleswig-Holstein ist eine von vier Kommunen, die seit 2023 Teil von „Inklusion vor Ort“ sind. Bürgermeister Ingo Schäper brennt für das Projekt, musste sich aber nach einem schwungvollen Beginn erst einmal besinnen. In der Podiumsdiskussion sagt er: „Wir hatten schon einige Ideen, die wir mit Inklusion vor Ort umsetzen wollten. Doch es kam anders: Menschen mit Behinderung hatten ganz andere Sachen auf dem Zettel.“ Seither nimmt er die Beteiligung der Expert*innen in eigener Sache sehr ernst.
Annette Hambach Spiegler aus der Verbandsgemeinde Nieder-Olm in Rheinland-Pfalz erinnert sich an das Modellprojekt „Kommune Inklusiv“. Seit dem Beginn des Projekts 2018 gibt es in Nieder-Olm ein Steuerungsgremium, das den Bürgermeister und weitere Stellen in der Verwaltung berät. Dort sind alle relevanten Personengruppen vertreten. Im Mai 2022 hat die Verbandsgemeinde eine Inklusionsstrategie verabschiedet, als politisches Bekenntnis für Inklusion. Ziel ist es, dass alle Menschen gleichberechtigt leben und teilhaben können. Inklusion soll bei jedem Schritt der Verwaltung mitgedacht und berücksichtigt werden. Trotzdem, so Hambach-Spiegler, sei Partizipation immer noch ein wunder Punkt in Nieder-Olm. Daran arbeitet die Verbandsgemeinde nach Abschluss des Modellprojekts weiter.
Auch Dresden ist Teil des Projekts „Inklusion vor Ort“, als eine von fünf Kommunen in Sachsen. Beate Kursitza-Graf hat das Thema „Teilhabe für alle“ fest im Blick: „Wir müssen offen in den Austausch gehen, auch mit destruktiven Kräften“, sagte sie bei der Podiumsdiskussion. Wichtig sei es, Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nicht gegeneinander auszuspielen. Und Jerôme Laubenthal von „Inklusion vor Ort“ Sankt Wendel im Saarland ergänzt: „Inklusion ist erfolgreich, wenn Beteiligung mit allen Stärken eines Menschen völlig selbstverständlich geworden ist.“
Gespräch: Sozialräumliche Veränderung erforschen
Das Modellprojekt „Kommune Inklusiv“ haben die Universitäten Frankfurt am Main und Marburg wissenschaftlich begleitet. Professor Hendrik Trescher von der Philipps-Universität Marburg betont, dass es im Zusammenhang mit Inklusion noch große ungenutzte Potenziale gebe. Denn viele Menschen stünden ihr sehr positiv gegenüber. Unter anderem deshalb sei es wichtig, mehr für die Bewusstseinsbildung zu tun. Bei aller Motivation solle man aber auch offen fürs Scheitern bleiben. „Das Erwartungsmanagement ist wichtig“, bestätigt auch Professor Dieter Katzenbach von der Goethe-Universität Frankfurt. Es müssen immer Kompromisse gefunden werden, weil Inklusion sich an die Mehrheitsgesellschaft richten müsse.
Dritter Kongresstag: Forum Demokratie und Beteiligung
Zur Einstimmung sehen die Teilnehmenden am dritten Kongresstag das kurze Video „All that we share“ . Darin wird deutlich: Demokratie lebt von Unterschiedlichkeit. Menschen bewegen sich, beziehen Position – und werden dadurch wahrgenommen. Gleichzeitig finden sie neue Gemeinschaft.
Die spielt auch in Bürger- oder Zukunftsräten eine große Rolle. Thomas Leszke, Vorstandsvorsitzender im Zukunftsrat Köln e.V., erklärt, dass die Bürger*innen in diesen Versammlungen nur sich selbst und ihre Meinung vertreten. Sie werden zufällig, aber nach demografischen Kriterien ausgewählt. Dabei macht Leszke immer wieder die Erfahrung, dass Menschen sich nicht trauen mitzumachen. Es sei wichtig, diese Menschen zu empowern. Die Zukunfts- oder Bürgerräte bekommen dann einen klar umrissenen Auftrag und suchen Lösungen beziehungsweise erarbeiten Kompromisse. Eine Moderation unterstützt den Prozess, Expert*innen geben Input. Die Arbeit der Räte sei wichtig, so der Referent. Denn sie diene dem Gemeinwohl, der Inklusion und der Transparenz.
Mann soll vor allem den jungen Leuten etwas zutrauen: Wir können was!
In der anschließenden Diskussion stellt Pia-Mareike Heyne das Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt der Stadt Leipzig vor, das sie leitet. Als Schnittstelle habe sie viel Handlungsfreiheit und Spielraum, das sei der Stadt wichtig gewesen. Klares Ziel ist, dass mehr Demokratie in die Verwaltung kommt. Damit scheint Leipzig auf einem guten Weg zu sein, denn die Stadt wurde bei der Wahl der beliebtesten Städte Europas auf Platz vier gewählt.
Wie Jugendliche mehr beteiligt werden können, erklären Sina Scholzen und Adrian Muraško von „Youth Lead the Change Germany“. Vor allem solle man den jungen Leuten etwas zutrauen, finden die beiden: „Wir können was!“ Im Saarland klappe das schon gut. Hier gebe es einen Jugendhaushalt und die jungen Menschen können selbst entscheiden, was mit dem Geld passiert. Sie sammeln Ideen, diskutieren und entscheiden dann gemeinsam.