Eine wissenschaftliche Begleitung organisieren
Wissenschaftliche Begleitung ist eine besondere Form der Evaluation: Die Wissenschaftler*innen geben Ergebnisse, Anregungen und Umsetzungsvorschläge schon während der Umsetzung in die Projekte zurück. Bei der reinen Evaluation messen Wissenschaftler*innen in erster Linie den Effekt einer Maßnahme oder eines Projekts und melden zurück: „Hat geklappt, hat nicht geklappt“. Bei der wissenschaftlichen Begleitung greifen die Projektbeteiligten die Ergebnisse der Wissenschaftler*innen idealerweise im laufenden Projekt auf und passen ihr Projekt an.
Überlegen Sie in der Planungsphase, ob Sie Ihr Projekt wissenschaftlich begleiten lassen wollen. Die Entscheidung wird sich auf Ihre Projektplanungen auswirken. Denn: Erstens sollte die Unterstützung der Wissenschaft Teil der offiziellen Jobbeschreibung der Projektmitarbeiter*innen sein. Zweitens braucht die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft Zeit, die Sie von Beginn an einplanen sollten: beispielsweise für Treffen und Diskussionen mit den Forscher*innen, für die eigene Erhebung von Daten oder für das Nachbessern von Maßnahmen oder Projektzielen.
Wissenschaftliche Begleitung bietet sich an, wenn:
- Sie ein Projekt über einen längeren Zeitraum mit vielen verschiedenen Zielgruppen in Ihrer Stadt, Gemeinde oder in Ihrem Stadtteil planen,
- Sie mit Ihrem Projekt die Gesellschaft verändern wollen,
- Ihr Projekt etwas Neues darstellt, das es in der Form zuvor noch nicht gegeben hat.
Wissenschaftliche Begleitung ist förderfähig
Was Sie vor der Beauftragung klären sollten
Fragen Sie eine Universität oder ein privates Forschungsunternehmen an?
Welche Daten wollen Sie und welche Daten will die Forschung erheben?
Wollen Sie eine Auftragsforschung oder eine Kooperation?
Es gibt unterschiedliche Formen der wissenschaftlichen Begleitung: Auftragsforschung und Kooperation. Die Auftragsforschung ist teurer: Als Auftraggeber*in zahlen Sie alle Kosten. Dafür haben Sie das alleinige Nutzungsrecht an den Daten, die die Wissenschaftler*innen erheben. Das heißt: Sie entscheiden, ob, wann und wo welche Forschungsergebnisse veröffentlicht werden.
Bei einer Kooperation zahlt das Forschungsinstitut einen Teil der Kosten. Die Hochschule oder das Forschungsunternehmen hat dann aber auch Rechte an den Daten. So könnten die Wissenschaftler*innen beschließen, erste Ergebnisse zu veröffentlichen – zu einem Zeitpunkt, der Ihnen möglicherweise nicht recht ist. Deshalb sollten Sie sich zu Beginn unbedingt darauf einigen, wer zuerst mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen darf.
Welche Erwartungen haben Sie, welche Erwartungen haben die Forscher*innen?
Sprechen Sie darüber, welche Erwartungen Sie jeweils an das Projekt haben und welche Interessen Sie verfolgen. Bei einer Auftragsforschung geben Sie als Auftraggeber*in die Ziele vor. Bei einer Kooperation müssen Sie sich mit den Wissenschaftler*innen auf gemeinsame Ziele einigen. Außerdem sollten Sie sich darüber verständigen, mit welchen Methoden welche Daten erhoben und ausgewertet werden. Das ist Teil des sogenannten Forschungsdesigns.
Für dieses Forschungsdesign müssen die Wissenschaftler*innen auch von Ihnen wissen, auf welche Weise Ihr Projekt welchen Zielgruppen helfen soll. Im besten Fall haben Sie bereits Ihre Wirkungsziele formuliert und können sagen, mit welchen konkreten Angeboten und Maßnahmen Sie die Ziele erreichen wollen. Dafür ist es wichtig, dass Sie Ihr Projekt wirkungsorientiert planen.
Auch müssen Budget und Erwartungen zusammenpassen. Die Evaluation oder Begleitforschung sollte am Ende nicht teurer sein als das Projekt selbst. Möglicherweise kann ein*e Student*in Ihr Projekt im Rahmen einer Master- oder Doktorarbeit begleiten. Das ist eine für Sie günstige Form der Evaluation. Dann sollte Ihnen jedoch klar sein: Ein*e Student*in schreibt seine oder ihre Abschlussarbeit innerhalb weniger Wochen oder Monate. Eine Begleitung über mehrere Jahre ist so nicht möglich.
Wissenschaft und Praxis müssen gut zusammenarbeiten
Sprechen Sie möglichst bald nach der Beauftragung mit den Wissenschaftler*innen darüber, wie genau Sie zusammenarbeiten möchten. Klären Sie folgende Fragen:
- Wer ist für was zuständig? Wer übernimmt welche Aufgaben?
- Sollen die Wissenschaftler*innen regelmäßig Zwischenergebnisse liefern?
- An welchen Terminen sollten sie teilnehmen?
- Wie oft wollen Sie sich mit den Wissenschaftler*innen besprechen?
Verständigen Sie sich auf Feedback-Regeln und klären Sie, wer auf welchen Wegen mit wem kommuniziert. So treffen sich bei Kommune Inklusiv die Wissenschaftler*innen mehrmals im Jahr – je nach Bedarf – mit der Aktion Mensch und mit den Netzwerkkoordinator*innen. Bei diesen Treffen tauschen sie sich über die aktuellen Ergebnisse aus. Sie besprechen, was diese Ergebnisse für das Projekt bedeuten und was bei der bisherigen wissenschaftlichen Begleitung gut oder weniger gut gelaufen ist. Zwischen den Treffen halten die Mitarbeiter*innen mit den Wissenschaftler*innen telefonisch oder per E-Mail Kontakt.
Monitoring vor Ort selbst übernehmen
Es ist außerdem wichtig, dass wissenschaftliche Methoden und Praxis zusammenpassen. Daher sollten Sie alle Menschen in Ihrem Netzwerk in die wissenschaftliche Begleitung einbeziehen. Sobald feststeht, welche wissenschaftlichen Methoden in welcher Projektphase zum Einsatz kommen sollen, sollten Sie sich mit Ihren Partner*innen aus der Praxis zusammensetzen. Prüfen Sie gemeinsam: Können die Partner*innen vor Ort gut mit den Methoden arbeiten? Erreicht die Wissenschaft damit die Vertreter*innen der Zielgruppen? Passen die Methoden zur Lebenssituation der Menschen im Viertel, in der Stadt oder Gemeinde? Wenn nötig, bessern Sie zusammen mit den Wissenschaftler*innen nach.
Vielleicht stellt sich in dieser ersten gemeinsamen Reflexionsrunde auch heraus: Damit das Projekt erfolgreich wirken kann, sollten Sie Ihre geplanten Ziele und Maßnahmen anpassen.
Wenn Sie sich einig sind, dass Planung und wissenschaftliche Methoden gut zusammenpassen, können Sie gemeinsam mit den Wissenschaftler*innen in die Umsetzungsphase starten.
Seien Sie bereit zu lernen
Auch während der Projektumsetzung spiegelt die wissenschaftliche Begleitforschung Ergebnisse ins Projekt zurück. Seien Sie bereit, mit den Wissenschaftler*innen über die Ergebnisse zu diskutieren und daraus zu lernen. Idealerweise nutzen Sie die Erkenntnisse aus der Forschung, um Ihr Projekt anzupassen und besser zu machen.
Achten Sie darauf, dass alle Projektbeteiligten auf Augenhöhe kommunizieren – dass sie miteinander reden und nicht gegeneinander argumentieren. Es geht nicht darum, wer recht hat, Aktive vor Ort oder Forscher*innen. Die Aktiven vor Ort arbeiten auf einen praktischen Erfolg hin, die Wissenschaft sucht nach theoretischen Erkenntnissen – beide Seiten sind für den Erfolg eines Projekts entscheidend.
Manchmal treffen Persönlichkeiten aufeinander, bei denen es knirscht und zu Missverständnissen kommt. Dann kann eine externe Moderation eine Lösung sein. Wenn Ihr Projekt eine Prozessbegleitung hat, kann sie diese Aufgabe übernehmen.
Erfahrungen aus Kommune Inklusiv
Bei der wissenschaftlichen Begleitung spiegelt nicht nur die Wissenschaft etwas zurück ins Projekt – auch die Praktiker*innen geben ihre Erfahrungen an die Wissenschaft. Für die Begleitforschung von Kommune Inklusiv hatten die Wissenschaftler*innen einen Fragebogen für eine Nutzer*innen-Befragung erarbeitet. Mit verschiedenen Fragen wollten sie herausfinden, was die Nutzer*innen von den Maßnahmen vor Ort halten. Sie hatten dafür eine Skala von null („Stimme gar nicht zu“) bis sieben („Stimme voll und ganz zu“) vorgesehen.
Die Projektkoordinator*innen hatten Bedenken. Ihre Befürchtung: Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder mit sogenannter geistiger Behinderung verstehen die Skala nicht und können sie nicht nutzen. Die Wissenschaft änderte den Fragebogen daraufhin so, dass drei Antworten möglich waren: „Ja“, „Teils-teils“ und „Nein“.
Außerdem ließen die Wissenschaftler*innen den Fragebogen in Leichte Sprache übersetzen. Die ursprünglichen Fragen in schwerer Sprache verwarfen sie. Alle Nutzer*innen, mit und ohne kognitive Einschränkungen, erhalten die Fragen nun in Leichter Sprache. Auf diese Weise können die Wissenschaftler*innen die Fragen mit einheitlichen Methoden auswerten.
Verteilt werden am Ende einer Maßnahme zwei unterschiedliche Versionen des Fragebogens. Die Version für Menschen mit kognitiven Einschränkungen umfasst neben den Fragen in Leichter Sprache auch eine Einleitung und eine Datenschutzerklärung in Leichter Sprache. Außerdem ist der Fragebogen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen anders gestaltet: beispielsweise mit Bildern und mit Smileys neben den Antwortmöglichkeiten „Ja“, „Teils-teils“ und „Nein“.
Beispiel für einen inklusiven Fragebogen aus der Modellkommune Erlangen: