Schwäbisch Gmünd: Stammtisch für Künstler*innen mit psychischen Erkrankungen
Schwäbisch Gmünd, Januar 2024
Menschen mit psychischer Erkrankung haben oft das Gefühl, nicht dazuzugehören. Sie haben Angst vor Stigmatisierung und versuchen deshalb, wenig aufzufallen. Als Folge ziehen sie sich aus der Öffentlichkeit zurück oder schweigen in Situationen, in denen sie eigentlich viel zu sagen hätten. „Menschen mit psychischer Erkrankung erleben oft Vorurteile und wissen deshalb geschützte Räume sehr zu schätzen“, sagt Gerhard Jäger von der Gemeindepsychiatrie Ostalbkreis, einer Netzwerkpartnerin von Kommune Inklusiv Schwäbisch Gmünd.
Kreativsein verbindet Menschen mit psychischen Erkrankungen
In Schwäbisch Gmünd gibt es seit 2021 einen Stammtisch für Künstler*innen mit psychischer Erkrankung. Neben gemeinsamem Malen, Zeichnen und Gesprächen über Kunst geht es hier darum, dass die Kreativen in einem geschützten Rahmen zusammenkommen und Zeit miteinander verbringen. Alle zwei Monate treffen sich die Menschen mit psychischer Erkrankung in den Räumen der Gemeindepsychiatrie Ostalbkreis.Kerstin Marzina besucht die Treffen regelmäßig. Sie ist gelernte Mediengestalterin und zeichnet seit ihrer Kindheit. Ihre Liebe fürs Zeichnen geriet viele Jahre in Vergessenheit, weil ihre psychische Erkrankung sie sehr einnahm. 2017 entdeckte sie während eines Psychiatrie-Aufenthalts das Zeichnen für sich wieder. Sie lernte, ihre Empfindungen und inneren Konflikte in Bildern auszudrücken.
Die Künstler*innen lernten sich bei der Ausstellung einzigARTig kennen
Kerstin Marzina und weitere Künstler*innen zeigten ihre Bilder erstmals bei der Ausstellung einzigARTig von September 2020 bis Januar 2021. Die Gemeindepsychiatrie hatte die Ausstellung im Rahmen von Kommune Inklusiv organisiert. Sie machte Menschen mit psychischen Erkrankungen sichtbar und gab ihnen einen öffentlichen Raum für ihre Kunst.
Durch die Ausstellung lernte Kerstin Marzina viele weitere Kreative mit psychischen Erkrankungen kennen. Ihre Liebe zur Kunst verbindet die Kreativen. Gerhard Jäger von der Gemeindepsychiatrie motivierte sie dazu, über einen Stammtisch in Kontakt zu bleiben.
Beim Künstlertreff wird geredet, gemalt und geplant
Inzwischen treffen sich beim Künstlertreff regelmäßig fünf bis acht Menschen und tauschen sich bei Kaffee und Knabbereien aus. Dieser Austausch sieht immer anders aus. Manchmal reden die Künstler*innen über ihren Alltag oder sind füreinander da, wenn es jemandem nicht gut geht. Manchmal sprechen sie über künstlerische Fragen und geben sich gegenseitig Tipps: Wo bekomme ich günstig Farben her? In welchem Geschäft ist Kreide im Angebot? Wie kann ich ein spezielles Gefühl künstlerisch ausdrücken?
Oft werden die Mitglieder des Stammtischs gemeinsam kreativ. So hatte eine Künstlerin die Idee, den Kaffee nicht nur zu trinken, sondern Aquarelle damit zu malen. Und manchmal organisieren die Mitglieder konkrete Projekte – wie die zweite Runde der Ausstellung einzigARTig, die noch bis zum 26. Januar 2024 läuft.
Die Ausstellung einzigARTig findet zum zweiten Mal statt
Dieses Engagement zeige, dass sich bei den Künstler*innen seit der ersten Ausstellung etwas verändert habe, sagt Gerhard Jäger: „Die erste Ausstellung einzigARTig hat die Künstler*innen selbstbewusster gemacht. Sie haben Eigeninitiative und Tatendrang entwickelt. Sie sind selbstbewusster und haben den Mut, sich zu zeigen und an die Öffentlichkeit zu gehen.“
Kerstin Marzina bestätigt Gerhard Jägers Eindruck: „Ich freue mich tierisch, dass ich meine Bilder anderen Menschen zeigen kann. Das hat mir viel Selbstbewusstsein verliehen“, sagt sie. „Es ging mir immer nur darum, meine Empfindungen auszudrücken, damit ich den Kopf frei bekomme. Und jetzt schauen sich Leute im Landratsamt meine Bilder an und ich denke nur so: Wow!“
Die Künstler*innen haben weitere Ideen
Die Mitglieder des Künstlertreffs denken darüber nach, im Laufe des Jahres 2024 eine dritte Ausgabe von einzigARTig zu organisieren. Bis es so weit ist, möchten sie bei ihren Treffen noch ein paar neue Kreativtechniken ausprobieren.