Das wir gewinnt

Soziale Medien und Identität

Die meisten Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren nutzen jeden Tag soziale Netzwerke im Internet. Die bekanntesten sozialen Netzwerke sind Instagram, WhatsApp, Snapchat, YouTube, Facebook und Twitter. Die Jugendlichen nutzen diese Netzwerke nicht nur. Sie gestalten sie auch. Beides trägt zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit bei.

Wenn Jugendliche soziale Netzwerke nutzen, beeinflusst das ihre Identität. Die Identität von einem Menschen ist, wie er sich fühlt und sich selber sieht. Das kann sich im Lauf der Zeit verändern. Bei Kindern und Jugendlichen entwickelt sich die Identität erst nach und nach. Wissenschaftler sprechen hier von der Identitäts-Bildung. Besonders wichtig für die Identitäts-Bildung ist der Umgang mit anderen Menschen.

Im Internet gehen Jugendliche anders miteinander um als in der wirklichen Welt. Sie können sich zum Beispiel anders darstellen als sie wirklich sind. Jemand kann im Internet schreiben: Ich bin groß und blond. In Wirklichkeit ist er aber klein und hat dunkle Haare.

Das älteste Online-Netzwerk ist Facebook. Es wurde 2004 gegründet. Inzwischen nutzen nicht mehr so viele Jugendliche Facebook. Sie nutzen eher Instagram, Snapchat und YouTube. Das zeigen neue wissenschaftliche Untersuchungen. Für Jugendliche gibt es verschiedene Gründe, soziale Netzwerke zu nutzen.

Warum nutzen Jugendliche soziale Netzwerke?
• Sie wollen Neuigkeiten erfahren. Zum Beispiel Neuigkeiten von Freunden und Bekannten. Oder Neuigkeiten von Menschen, die gleiche Interessen haben. Und Neuigkeiten von Prominenten.
• Sie wollen Kontakte knüpfen. Zum Beispiel Kontakte zu Menschen, die ihnen wichtig sind.
• Sie wollen Spaß haben. Zum Beispiel beim Ansehen von Fotos. Es kann auch Spaß machen, etwas über die Erlebnisse von anderen zu erfahren.
• Sie wollen Lob und Anerkennung bekommen. Lobende Kommentare von anderen machen selbstbewusst.

Manche Jugendliche verstellen sich im Internet

Jugendliche nutzen soziale Netzwerke unterschiedlich. Manche schauen sich vor allem Bilder an. Manche lesen am liebsten nur, was andere geschrieben haben. Andere beteiligen sich selber viel. Wissenschaftler haben auch Unterschiede in der Nutzung der verschiedenen Netzwerke festgestellt. Auf Snapchat verschicken Jugendliche zum Beispiel öfter Fotos und Videos als auf Instagram.

Die Texte und Fotos sagen etwas über die Jugendlichen aus. Sie zeigen die Interessen und Vorlieben von den Jugendlichen. Und sie zeigen ihre Fähigkeiten. In sozialen Netzwerken stellen sich Jugendliche meistens so dar, wie sie von anderen gesehen werden wollen. Ihre Selbst-Darstellung ist ihnen wichtig. Wissenschaftler nennen die Selbst-Darstellung im Internet auch das digitale Ich. Wissenschaftler sagen: Manchmal sind das digitale Ich und das wirkliche Ich eines Jugendlichen sehr unterschiedlich. Das kann zu Identitäts-Problemen führen. Einfacher ausgedrückt heißt das: Manche Jugendliche verstellen sich im Internet sehr. Das kann dann für sie selbst verwirrend sein. Sie können dann vielleicht selbst nicht mehr klar zwischen Wahrheit und Täuschung unterscheiden.

Jugendliche wollen, dass andere sie mögen und loben. Oft merken Freunde und Bekannte von einem Jugendlichen das. Sie merken: Es gibt einen großen Unterschied zwischen seinem digitalen Ich und seinem wirklichen Ich. Dann bekommt er von ihnen kein Lob und keine Ankerkennung. Vielleicht machen sich Freunde und Bekannte sogar über ihn lustig. In sozialen Netzwerken kommt es öfter vor: Ein Jugendlicher macht sich über einen anderen lustig. Oder einer spricht schlecht über einen anderen. Wenn das über längere Zeit immer wieder passiert, bezeichnet man das als Mobbing. Das Wort Mobbing kommt aus dem Englischen und bedeutet: jemanden belästigen oder anpöbeln. Es gibt verschiedene Formen von Mobbing im Internet. Zum Beispiel wenn jemand über einen anderen etwas verrät, das eigentlich keiner wissen soll. Oder wenn jemand einen anderen bedroht. Mobbing kann Menschen sehr verletzen. Deshalb müssen sich die Mobbing-Opfer Hilfe holen.

Jugendliche zeigen im Internet oft Fotos und Videos von sich. Darauf wollen sie möglichst gut aussehen. Ihre Vorbilder sind oft Stars aus Film und Fernsehen. Für die perfekten Star-Fotos wird meistens ein sehr großer Aufwand getrieben. Normale Jugendliche können da nicht mithalten. Darunter leiden viele Jugendliche.

Es gibt auch Fotos von Menschen, die anders sind.

Das Online-Netzwerk Instagram nutzen vor allem Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Die meisten davon sind Mädchen und Frauen. Sie zeigen sehr oft Selfies. Also Fotos, die sie von sich selbst gemacht haben. Sie schreiben auch oft ihre Meinung zu Fotos von anderen. Das wichtigste Thema bei diesen Fotos ist das Aussehen. Es geht vor allem darum, wie man sich mit Mode und Schminke schöner machen kann. Schön sein heißt hier meistens: Möglichst so aussehen, wie die Frauen und Männer in der Werbung und im Film. Also schlank und sportlich. Aber es gibt auch Fotos von Körpern, die anders sind. Es gibt auch Fotos von Menschen mit Behinderung. So wird deutlich, dass Menschen sehr verschieden sind. Es ist normal, wenn jemand nicht perfekt ist. Zum Beispiel Ilka Brühl. Ilka hat eine Gesichts-Spalte. Sie zeigt Fotos von sich im Sozialen Netzwerk Instagram. Hier lesen Sie ein Interview mit Ilka.

Jungen und Männer wollen vor allem männlich sein. Viele finden es männlich, wenn sie stark sind. Oder sie finden es männlich, wenn sie Macht über andere haben. Viele glauben auch, dumme Sprüche sind männlich. Aber das finden in sozialen Netzwerken nicht alle gut.

Ihr Körper hat für die meisten Menschen heute eine große Bedeutung. Es ist ihnen wichtig, dass ihr Körper gut aussieht und fit ist. Deshalb treiben viele Menschen Sport. Es gibt heute mehr Fitness-Studios als früher. Viele Menschen schmücken ihren Körper mit Tätowierungen. Für Jugendliche ist der Körper ein wichtiges Thema. Sie zeigen ihren Körper auf Fotos in sozialen Netzwerken. Und sie schauen die Fotos von anderen an.

Die meisten Jugendlichen zeigen in sozialen Netzwerken nur gute Eigenschaften und Fähigkeiten von sich. Selten sprechen Jugendliche über ihre Probleme. Zum Beispiel über Ess-Störungen oder Sucht-Krankheiten. Oder über andere seelische Probleme. Für ihre Probleme bekommen sie von anderen meistens wenig Lob und Anerkennung. Deshalb erzählen sie nicht davon. Auf sozialen Netzwerken kann man ganz einfach Lob und Anerkennung zeigen. Zum Beispiel mit einem like (Aussprache: leik). Das ist englisch und heißt mögen. Dazu braucht man bloß einen Klick. Wer von anderen viele likes bekommt, freut sich. Denn so bekommt er viel Lob und Anerkennung.

Eine junge Frau mit glattem langem rotblonden Haar. Ihre Augen, Nase und Mund sehen etwas anders aus als gewöhnlich.
Ilka Brühl hat eine Gesichts-Spalte. Ilka zeigt Fotos von sich im Sozialen Netzwerk Instagram.

Jugendliche sind oft unzufrieden mit sich

Jeder Jugendliche kann selbst entscheiden, was er auf einem Online-Netzwerk von sich zeigen will. Er entscheidet, was er betonen will. So kann er zum Beispiel zeigen, dass er gerne Sport treibt. Oder er zeigt, dass er gerne kocht. Andere sehen sich das an. Sie haben dann eine Vorstellung von dem Jugendlichen. Auch er selber sieht sich das an. Wenn er nicht zufrieden ist, kann er nachbessern. Zum Beispiel kann er Fotos wieder wegnehmen. Und er kann neue Fotos hinzufügen. Das kann er so oft machen, wie er will. So kann er herausfinden, was ihm wirklich wichtig ist. Und er kann sich selbst besser kennenlernen. Aber manche Jugendliche stellen sich im Internet ganz anders dar, als sie wirklich sind. Sie sagen zum Beispiel, dass sie viel Sport machen. In Wirklichkeit machen sie aber nur wenig Sport. Oder sie zeigen Fotos, auf denen sie viel besser aussehen als in Wirklichkeit. Sie wollen unbedingt perfekt sein. Das kann dazu führen, dass sie sich sehr schlecht fühlen. Weil sie ja wissen, dass sie in Wirklichkeit nicht perfekt sind. Und es kann dazu führen, dass sie Probleme mit anderen bekommen.

Jugendliche sind oft unzufrieden mit sich. Der Übergang vom Kind zu Erwachsenen ist eine schwierige Phase. Jugendliche sind noch auf der Suche. Sie fragen sich nach dem Sinn des Lebens. Und sie fragen sich danach, was sie eigentlich wollen und können. Solche Fragen können Jugendliche nicht alleine beantworten. Begegnungen mit anderen sind wichtig. Begegnungen in der wirklichen Welt. Aber auch Begegnungen in sozialen Netzwerken. Begegnungen in sozialen Netzwerken machen meistens Spaß. Aber sie können Jugendliche auch unter Druck setzen. In sozialen Netzwerken liest man manchmal den Spruch: Be yourself or be nobody. Das bedeutet auf Deutsch: Du musst du selbst sein. Sonst bist du niemand. Aber gerade das ist nicht so leicht. Jugendliche müssen ja noch herausfinden, wer sie selbst sind.

Eine fünfzigjährige Frau mit braunem kurzen Haar

Dagmar Hoffmann

Dagmar Hoffman hat untersucht, wie Jugendliche soziale Netzwerke nutzen. Sie ist 54 Jahre alt. Sie hat Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Soziologie studiert. Seit 2011 ist sie Professorin für Medien und Kommunikation an der Universität Siegen.

Übersetzung in Einfache Sprache: Astrid Eichstedt

Das könnte Sie auch interessieren